Künstliche Intelligenz (KI) und Automatisierung verändern rasant die Art und Weise, wie wir industrielle Systeme entwerfen, betreiben und skalieren. In Fabriken, Logistikzentren und Produktionslinien ermöglichen intelligente Robotik, prädiktive Analysen und adaptive Steuerung ein neues Maß an Effizienz und Präzision. Aber da diese Technologien immer leistungsfähiger werden, besteht die nächste Herausforderung nicht einfach darin, intelligentere Maschinen zu bauen, sondern sicherzustellen, dass Menschen und Maschinen nahtlos zusammenarbeiten können.
Traditionell konzentriert sich die Automatisierung auf repetitive oder körperlich anstrengende Aufgaben. Mit den Fortschritten im maschinellen Lernen und im Cognitive Computing entwickeln sich Systeme nun von Werkzeugen zu Kooperationspartnern – sie führen nicht nur Anweisungen aus, sondern unterstützen, leiten und erweitern sogar die menschliche Entscheidungsfindung. Diese Entwicklung erfordert eine neue Klasse von Lösungen: Assistenzsysteme, die die menschlichen Fähigkeiten ergänzen, anstatt sie zu ersetzen. Solche Systeme vereinfachen komplexe Prozesse, reduzieren Fehler und passen sich dynamisch an den Kontext an, wodurch eine intuitivere Partnerschaft zwischen Mensch und Technologie entsteht. „Die nächste Stufe industrieller Intelligenz entsteht dort, wo Mensch und Maschine nicht nur zusammenarbeiten, sondern gemeinsam denken – unterstützt durch agentische KI, die Kontext versteht und Handlungen eigenständig plant“, so Warren Purcell, AI Architect und Researcher im Bereich Distributed Al Systems bei Siemens Österreich.
“Die nächste Stufe industrieller künstlicher Intelligenz entsteht
dort, wo Mensch und Maschine nicht nur zusammenarbeiten, sondern gemeinsam denken.“
Warren Purcell, AI Architect und Researcher im Bereich Distributed Al Systems, Siemens Österreich
Software als aktive Assistenz
Das Aufkommen von Large Language Models (LLMs) und agentenbasierter KI treibt diesen Wandel noch weiter voran. Diese Technologien ermöglichen es Maschinen, Sprache zu interpretieren, komplexe Situationen zu durchdenken und Handlungen autonom zu planen. In Kombination mit traditionellen Automatisierungsfunktionen ermöglichen sie es Softwaretools, sich von einer passiven Entscheidungshilfe zu aktiven Mitarbeitenden zu entwickeln, die Arbeitsabläufe koordinieren, natürlich mit Usern interagieren und sich kontinuierlich an veränderte Bedingungen anpassen. Für die Industrie bedeutet dies nicht nur mehr Automatisierung, sondern auch intelligentere, flexiblere Systeme, die sich mühelos auf verschiedene Anwendungsfälle skalieren lassen.
Das Aufkommen von Large Language Models (LLM) und agentenbasierter KI treibt die Partnerschaft zwischen Mensch und Technologie noch weiter voran.
Einen ersten Einblick in diese Zukunft bietet das von der FFG finanzierte Projekt A2P (Assist to Produce), eine Kooperation zwischen akademischen und industriellen Partnern (TU Wien, Infineon Technologies Austria AG, 46NORD AUTOMATION GMBH, Siemens Aktiengesellschaft Österreich, Siemens Mobility Austria GmbH, Universität Innsbruck). Das Forschungsziel: die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Roboter durch die Integration von agentenbasierter KI in industrielle Umgebungen neu zu denken. Während die meisten kollaborativen Roboter heute nur physische Unterstützung bieten, untersucht A2P, wie kognitive Intelligenz die Partnerschaft verbessern kann. Durch die Einbettung von LLMs in die Steuerungsarchitektur des Roboters können Menschen mit Maschinen in natürlicher Sprache kommunizieren – Aufgaben konfigurieren, Fehler beheben oder Erklärungen anfordern, ohne über Programmierkenntnisse zu verfügen. Der Roboter wird nicht nur zu einem Werkzeug, sondern zu einem kognitiven Partner, der in der Lage ist, nächste Schritte vorzuschlagen, Pläne anzupassen und Probleme gemeinsam zu lösen. „Agentische KI für die Zusammenarbeit mit Robotern folgt nicht einfach nur Anweisungen. Sie ermöglicht eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe, erklärt Entscheidungen und passt sich dynamisch an Usereingaben an. Dieser Ansatz wird zu einer effektiveren, intuitiveren und widerstandsfähigeren Zusammenarbeit zwischen Mensch und Roboter führen“, erklärt Sebastian Schlund, Universitätsprofessor und Leiter des Forschungsbereichs Industrial Engineering und der Forschungsgruppe Mensch-Maschine-Interaktion am Institut für Managementwissenschaften der TU Wien.
“Agentische KI für die Zusammenarbeit
mit Robotern folgt nicht einfach nur Anweisungen. Sie ermöglicht eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe.“
Sebastian Schlund, Universitätsprofessor, Institut für Managementwissenschaften, TU Wien
Von Befehlsausführung zu Problemlösung
Der Projektansatz wurde in Fallstudien validiert, die von Qualitätsprüfungen bis hin zur Kabelkonfektionierung reichten und in denen über eine Chatbot-Schnittstelle eine Interaktion mit Robotern stattfand. Die Ergebnisse waren eindeutig: Die Nutzenden empfanden das System als intuitiver und begannen, den Roboter als aktiven Partner bei der Problemlösung zu betrachten und nicht mehr als passiven Befehlsausführer. Dieser durch Physical AI angetriebene Wandel – von bloßer Unterstützung hin zu gemeinsamer kognitiver Zusammenarbeit – ist ein wichtiger Schritt in Richtung anpassungsfähigerer, transparenterer und menschenzentrierterer Produktionssysteme.
Die gleichen Prinzipien werden nun auf praktische industrielle Anwendungen wie SIMATIC Robot Pick AI ausgeweitet, eine von Siemens entwickelte bildgesteuerte Kommissionierlösung. Dank Zero- Shot-Lernen identifiziert und berechnet diese Siemens-Lösung Robotergriffe für eine Vielzahl von Objekten – selbst für solche, denen es noch nie begegnet ist. Seit seiner Einführung wurde SIMATIC Robot Pick AI darauf ausgelegt, Lagerarbeiter: innen zu entlasten, indem ihre Aufgabe von der manuellen Kommissionierung auf die Überwachung von Roboter- Kommissionierstationen verlagert wird. In Zukunft könnte eine zusätzliche Intelligenzschicht – basierend auf agentenbasierter Entscheidungsfindung und natürlichen Sprachschnittstellen – diese Zusammenarbeit weiter verbessern und Roboter von aufgabenspezifischen Werkzeugen zu anpassungsfähigen Partnern in der Fertigung machen. Die Bedienenden werden dann in der Lage sein, Kommissionierungsstrategien spontan zu konfigurieren, bestimmte Objekte zu priorisieren oder andere auszuschließen – alles durch intuitive Interaktion. Das Ergebnis ist ein intelligenteres, kollaboratives System, das sich an veränderte Produktionsanforderungen anpasst und gleichzeitig dem Menschen die Kontrolle überlässt. „Agentische KI hat das Potenzial, menschenähnliches Denken in die Fertigung zu bringen und die individuellen Kundenanforderungen zu erfüllen – und das im laufenden Betrieb“, sagt Ines Ugalde, Senior Key Expert im Technologiefeld Future of Automation in Berkeley, die mit ihren Kolleg:innen vom Siemens Research and Innovation Ecosystem (RIE) Bay Area so wie das Team in Wien an AI based Robotics arbeitet.
“Agentische KI hat das Potenzial,
menschenähnliches Denken für
Maschinen in die Fertigung zu bringen und die individuellen Kundenanforderungen zu erfüllen – und das im laufenden Betrieb.“
Ines Ugalde, Senior Key Expert im Siemens RIE Bay Area, Berkeley
Diese Konvergenz von Automatisierung, Sprachintelligenz und agentenbasierter Entscheidungsfindung läutet eine neue Ära der industriellen KI ein. Da Systeme zunehmend in der Lage sind, Zusammenhänge zu verstehen, Aufgaben zu durchdenken und auf natürliche Weise zu kommunizieren, werden sie nicht nur die Produktion beschleunigen, sondern auch Menschen dazu befähigen, kreativer und strategischer zu arbeiten. Die Ergebnisse von Projekten wie A2P unterstreichen das transformative Potenzial der Mensch-Maschine-Zusammenarbeit und zeigen, wie intelligente Systeme als echte Partner neben Menschen arbeiten können – indem sie menschliche Einsichten mit maschineller Präzision kombinieren, um Produktionsumgebungen zu schaffen, die sicherer, flexibler und widerstandsfähiger sind. Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse werden Lösungen wie SIMATIC Robot Pick AI diese Fähigkeiten in praktische Anwendungen umsetzen und den Weg für Assistenzsysteme der nächsten Generation in realen industriellen Umgebungen ebnen.