Energiegemeinschaften im Fokus
Erneuerbare-Energiegemeinschaften sollen einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele leisten.…
Siemens
Erneuerbare-Energiegemeinschaften sollen einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele leisten. In zwei wegweisenden Forschungsprojekten trägt Siemens gemeinsam mit seinen Partnern zur Verbesserung von Betrieb und Planung von lokalen Erzeugungs- und Verbrauchsgemeinschaften bei.
Mehr als drei Viertel der europäischen Treibhausgasemissionen entstehen durch die Erzeugung und den Verbrauch von Energie. Der Green Deal, d.h. das Erreichen der Klimaziele bis 2030 bzw. der Klimaneutralität bis 2050, ist daher ein zentrales Anliegen der Europäischen Union zur Bekämpfung von Klimawandel und Umweltzerstörung.
Ein paneuropäisches Vehikel zur Steigerung von Energieversorgung durch lokale erneuerbare Energie sind sogenannte Energiegemeinschaften. Diese ermöglichen unterschiedlichen Akteuren wie Bevölkerung, Gebäudebetreibenden, Gemeinden und Unternehmen sich zusammenzuschließen, um Energie (also Strom, Wärme oder Gas) aus erneuerbaren Quellen gemeinsam zu erzeugen, zu speichern, untereinander zu handeln und zu nutzen.
Die erfolgreiche Umsetzung von Energiegemeinschaften ist mit einigen Herausforderungen behaftet – dies betrifft sowohl die Planungsphase als auch den Betrieb. In der Planungsphase muss sichergestellt werden, den richtigen Mix an Teilnehmenden (und damit verbunden eine gute Lastverteilung) zu finden und entsprechend den Teilnehmenden den optimalen Betriebsmodus zu wählen, um einen reibungslosen Betrieb und die Wirtschaftlichkeit der Gemeinschaft nach der Umsetzung sicherzustellen.
Komplexer Akteur im Stromnetz
Im Betrieb stellen Energiegemeinschaften einen weiteren proaktiven, dynamischen und sehr komplexen Akteur im Stromnetz dar. Dadurch nimmt die Transparenz hinsichtlich der Hintergründe für bestimmte Systemereignisse ab – etwa ein Elektroauto wurde trotz sehr sonnigen Wetters nicht vollständig aufgeladen. Dies erschwert zum Beispiel den Betreibenden den sicheren und wirtschaftlichen Betrieb einer Anlage und verringert zudem die Benutzer:innenfreundlichkeit.
In zwei Forschungsprojekten werden Methoden entwickelt, die zukünftig die Planung und den Betrieb von Erneuerbare-Energiegemeinschaften unterstützen sollen.
Im Rahmen von zwei Forschungsprojekten unter Beteiligung von Siemens Österreich (Forschungsgruppen Künstliche Intelligenz, Konfigurationstechnologien und Datenanalyse sowie Intelligente Industrial-IoT-Lösungen), dem europäischen Projekt DataBri-X und dem nationalen Projekt SENSE, erfolgt derzeit die Entwicklung von Methoden, die zukünftig die Planung und den Betrieb von Energiegemeinschaften unterstützen sollen – wobei in DataBri-X Methoden zur Planung und in SENSE Methoden für den Betrieb entwickelt werden.
DataBri-X, bestehend aus einem Konsortium aus 14 europäischen Partnern, entwickelt eine Toolbox und Services (sogenannte Bri-X, phonetisch bricks im Sinne von Bausteinen) für einen flexiblen Datenmanagementprozess im Kontext europäischer Datenräume. Datenräume stellen eine föderierte, offene Infrastruktur für die gemeinsame Nutzung von Daten auf der Grundlage gemeinsamer Strategien, Regeln und Standards dar.
Der in DataBri-X entwickelte Datenmanagementprozess soll den einfachen Entwurf und die Umsetzung von datengetriebenen Prozessen ermöglichen. Zur Verbildlichung ein Beispiel: Nehmen wir an, die Bilanz einer Energiegemeinschaft soll analysiert werden. Dazu bedarf es meist einiger Schritte: ,Erst müssen die Daten und anonymisiert, danach müssen sie auf Basis unterschiedlicher Analysemethoden bewertet werden. Final werden die Bewertungen in eine Gesamtbewertung zusammengeführt. Die DataBriX-Toolbox soll es ermöglichen, solche Prozesse automatisiert zu entwerfen. Auf Basis eines Prozessentwurfs werden den Nutzenden geeignete Services (Bri-X), etwa ein Service zur Datenanonymisierung, vorgeschlagen. In der Folge wird der Prozess automatisiert durchgeführt.
Was hat das nun mit der Planung von Energiegemeinschaften zu tun? Simulationen stellen ein wichtiges Werkzeug bei der Planung von Energiegemeinschaften dar. Sie erlauben es, wichtige Parameter wie Teilnehmendenkonstellationen und Betriebsmodi vorab zu testen und eine Abschätzung über deren Wirtschaftlichkeit vorzunehmen. Zum Entwurf von Simulationsszenarien und zur Durchführung von Simulationen wurde durch die Siemens-Forschungsabteilung in Österreich BIFROST entwickelt. Diese Simulationssoftware wurde bereits in mehreren Projekten erfolgreich dazu verwendet, Energiegemeinschaften zu simulieren und zu bewerten (hi!tech 2/20 berichtete).
Planung durch Simulation
Der Entwurf solcher Szenarien und besonders die Vorbereitung der Daten für die Simulation ist derzeit ein sehr arbeitsintensiver und vor allem manueller Prozess: Es müssen erst die richtigen Daten für ein bestimmtes Szenario identifiziert und so vorbereitet werden, dass sie in der Simulation Anwendung finden können. Das macht die Simulation von Energiegemeinschaften zu einem interessanten Anwendungsfall für das EU-geförderte Forschungsprojekt DataBri-X. Die ideale Testumgebung dafür bietet die Infrastruktur des Forschungsprojekts Aspern Smart City Research (ASCR) in aspern Seestadt, in dem Siemens und die Stadt Wien an der Energiezukunft im urbanen Raum arbeiten.
Die Infrastruktur von Aspern Smart City Research ist die ideale Umgebung zur Erforschung
der beiden Energiegemeinschaft-Use-Cases.
DataBri-X ermöglicht also die Automatisierung des Vorbereitungsprozesses für Simulationen, d.h. notwendige Datenquellen können in Datenräumen identifiziert und danach automatisiert (durch entsprechende Bri-X) für die Simulation vorverarbeitet werden. Die Simulationsergebnisse können dann mittels geeigneter Bri-X nachverarbeitet, in einem Datenraum abgespeichert und mit anderen Stakeholdern geteilt werden.
Für die simulationsgestützte Planung von Energiegemeinschaften bedeutet DataBri-X eine einfachere Abwicklung von Simulationen. Das erlaubt die schnelle Simulation von unterschiedlichen Szenarien (mit unterschiedlichen Teilnehmenden und Betriebsmodi) und Potenzial von Energiegemeinschaften darzustellen.
Der Betrieb von Energiegemeinschaften ist ebenfalls herausfordernd. Vor allem die Nachvollziehbarkeit der dynamischen und komplexen Prozesse ist eine wesentliche Schwierigkeit. Zur besseren Veranschaulichung ein Beispiel: Nehmen wir eine Energiegemeinschaft, bestehend aus zwei Teilnehmenden, in einem Verteilnetz an – ein Smart Building inklusive PV-Anlage und Batteriespeicher sowie ein Wohngebäude. In der Energiegemeinschaft verkauft das Smart Building seine überschüssige PV-Energie an das Wohngebäude. Dadurch steigert sich die Versorgung durch lokale erneuerbare Energie in dem Verteilnetz.
Um den sicheren Betrieb des Verteilnetzes zu gewährleisten, können der Energiegemeinschaft durch den Verteilnetzbetreiber Vorgaben gemacht werden, beispielsweise Einspeisungsgrenzen. Kommt es nun zu einer Verletzung der Vorgaben, beispielsweise durch eine Überschreitung der erlaubten Einspeisung, stellt sich die Frage nach der Ursache. Im Kontext des gerade erwähnten Beispiels könnte die Ursache eine defekte Batterie des Smart Buildings sein, wodurch die durch PV erzeugte Energie nicht wie geplant zwischengespeichert werden konnte. Eine andere mögliche Ursache wäre, dass die Prognose der Erzeugung ungenau war, also mit weniger PV Energie als schlussendlich erzeugt gerechnet wurde. Durch die Anzahl der Teilnehmenden steigt die Systemkomplexität, wodurch die Ursachen für Problemfälle schwieriger zu identifizieren sind und die Transparenz der Systemereignisse abnimmt.
Außerdem sind, je nach Anwender:innen, unterschiedliche Erklärungen erforderlich: So benötigt (im oben skizzierten Fall) der Betreiber einer Energiegemeinschaft eine andere Erklärung als die Bewohner:innen des Wohnhauses oder der Verteilnetzbetreiber, weil sie alle eine unterschiedliche Sicht auf das System haben.
Erklärbarkeit von Systemereignissen
Im Projekt SENSE, gefördert durch die Forschungsförderungsgesellschaft FFG, werden Methoden zur Erklärbarkeit von Systemereignissen in hochkomplexen, dynamischen Systemen, die die physische, digitale und menschliche Sphäre umfassen, entwickelt, wobei Energiegemeinschaften einen zentralen Anwendungsfall darstellen.
SENSE entwickelt Methoden im Bereich der neurosymbolischen künstlichen Intelligenz (KI). Neurosymbolische KI verbindet Methoden der „klassischen“ regelbasierten (symbolischen) KI mit neuronalen Netzen und „Deep Learning“ (subsymbolischer KI). Die Kombination dieser Ansätze erlaubt die Aufhebung methodeneigener Defizite: So ist es symbolischen Modellen nicht möglich, unstrukturierte Daten zu verarbeiten (bekannt als Symbol-Grounding-Problem), außerdem kann ein symbolisches System nur im Rahmen seiner Wissensrepräsentation operieren.
Im Gegensatz dazu sind neuronale Netze und andere Verfahren des maschinellen Lernens in der Regel nicht gut darin, zu generalisieren, sofern das zu Generalisierende über die Trainingssituation hinausgeht. Ein weiteres Problem von neuronalen Netzen ist, dass sie für die Nutzenden eine Black Box darstellen. Zwar sind solche Methoden exzellent darin, etwa Fehler in einem System zu identifizieren und zu klassifizieren; das Warum (also warum hat sich das Netz bei einer Eingabe entschieden, diese in einer gewissen Art und Weise zu klassifizieren) bleibt aber im Gegensatz zu symbolischen Ansätzen offen. Diese Unsicherheit bzw. fehlende Erklärbarkeit (Trustworthiness) bezüglich der Lösungsfindung macht es schwierig, KI in sicherheitskritischen Applikationen einzusetzen, und wirft ethische Fragestellungen auf.
Durch die Verknüpfung der beiden Ansätze werden die besten Fähigkeiten aus beiden KI-Welten vereint: So erlaubt die symbolische KI die Formalisierung des Systems (etwa mittels eines sogenannten Knowledge-Graphen) und die subsymbolische KI die Erweiterung des Systemwissens durch das Anwenden von Methoden neuronaler Netze auf das formalisierte Wissen (siehe hi!tech 1/23).
Im Projekt SENSE werden diese Methoden im Kontext von Ereigniserkennung und Erklärung im Energiesystem eingesetzt, wobei einen Anwendungsfall der Betrieb von Energiegemeinschaften darstellt. Dieser wird ebenfalls im Rahmen der ASCR-Forschungsinfrastruktur in Aspern Seestadt in Wien bearbeitet. Mit Hilfe der neurosymbolischen Methoden werden Probleme im Betrieb erkannt, nutzerspezifisch nachvollziehbar erklärt und automatisch Lösungsvorschläge für die Nutzenden generiert, um das Problem zu beheben.
Vor allem unter dem Aspekt der Erklärbarkeiten stellen neurosymbolische Ansätze, neben ihrem Einsatz in Energiesystemen, in vielen anderen Industriedomänen ein interessantes Werkzeug für das Siemens-Automatisierungsportfolio dar.