Shot of Generic Printed Circuit board with Microchips and other Components during Production Process. © Siemens
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„Wir können mit der in Österreich vorhandenen hohen Kompetenz viel zum globalen Technologiefeld beitragen“

Interview mit Herbert Taucher, der aus der Siemens-Forschungseinheit in Wien das globale Technologiefeld Integrated Circuits and Electronics leitet.

Forschung & Entwicklung

25.06.2024

Lesezeit 13 Min

Christian Lettner

Das globale Siemens-Technologiefeld Integrated Circuits and Electronics wird von Herbert Taucher aus der Forschungseinheit in Wien geleitet. Zwei der neun darin tätigen Forschungsgruppen haben ebenfalls ihren Sitz in Österreich. Ein Interview über die Kombination von Hardware und Software, Lieferketten, AI, Nachhaltigkeit und die zentrale Rolle von Siemens in der Chipentwicklung am Weltmarkt.

Du leitest seit Beginn des Jahres 2023 das globale Siemens-Technologiefeld Integrated Circuits and Electronics (ICE). Was sind die Themen in diesem Forschungsbereich?
Wir beschäftigen uns mit Integrierten Schaltungen (ICs) und leiterplattenbasierter Elektronik (PCBs). Das sind wesentliche Technologien für die meisten Branchen, die insbesondere für die Digitalisierung essenziell sind. ICE deckt Entwurf, Verifikation und Fertigung bis hin zur Kreislaufwirtschaft von ICs, PCBs und Modulen für die verschiedensten Ausprägungen von Elektronik ab – etwa digitale und analoge Elektronik, Hochfrequenzelektronik, Photonik und MEMS (Micro-Electro-Mechanical- Systems)-Technologien zur Realisierung einer Reihe von Fähigkeiten wie Compute-Plattformen, drahtgebundene und drahtlose Kommunikation sowie Sensorik und Aktuatorik. Auf unserer Forschungsagenda steht auch das Thema Batterien – von der Zellfertigungsoptimierung bis hin zur Kreislaufwirtschaft. ICE kombiniert die relevanten Ingenieur- und Forschungsdisziplinen und wir arbeiten eng mit den auf Software und Systementwicklung fokussierten Technologiefeldern und Universitäten zusammen sowie natürlich mit den Forschungsgruppen in den verschiedenen Geschäftsbereichen von Siemens.

Wie sieht das organisatorische Setup aus?
ICE ist eines von insgesamt elf Siemens-Technologiefeldern in der Technology- Organisation unseres CTOs Peter Körte und neben zwei bereits seit Jahren aus den USA heraus geleiteten Technologiefeldern das einzige, das das Headquarter außerhalb Deutschlands hat. Im Technologiefeld ICE mit Sitz in Wien arbeiten neun Teams – sogenannte Research Groups – in fünf Ländern. Vier Forschungsgruppen gibt es in Deutschland, eine in Indien, eine in Rumänien, eine in Portugal und zwei in Österreich – und zwar die Forschungsgruppen „Electronics Design and Integrated Circuits“ sowie „Electronics Communication & Radio Frequency“, also Hochfrequenztechnik. Insgesamt sind es rund 160 Expertinnen und Experten unterschiedlichster Disziplinen, die die Themen vorantreiben.

Was ist die Bedeutung von Halbleitern für die Produkte von Siemens?
Fast alle Siemens-Produkte bestehen aus einer Kombination von Software und Hardware. Eine wesentliche Rolle spielt dabei die optimale Abstimmung dieser beiden Elemente und damit erklärt sich auch, dass Hardware immer eine zentrale Rolle in der Siemens-Strategie gespielt hat und das auch weiterhin tun wird. Diese Hardware basiert in den allermeisten Fällen auf Elektronik mit eingebetteten Prozessoren unterschiedlichster Leistungsklassen für die Ausführung der Software. Siemens fertigt die Elektronik dieser Produkte fast zur Gänze in eigenen Fertigungsstandorten selbst, von denen einer sogar hier in Wien ist. Stabile Lieferketten für ICs und elektronische Komponenten generell sind daher für Siemens extrem wichtig.

Wie ist die Lage diesbezüglich?
Die Situation hat sich zwar etwas verbessert, aber es kann noch keine Rede von einer Entspannung sein. Während der Corona-Pandemie war das Problem, dass das Personal nicht in die Fabriken konnte und die Produktion ins Stocken kam.

Und aktuell?
Momentan gibt es Kapazitätsprobleme wegen des sehr stark wachsenden Bedarfs im Markt. Dazu tragen auch wesentlich rechenleistungsintensive AI-Anwendungen wie Large Language Models bei. Die Lage ist also nach wie vor sehr herausfordernd, speziell auch unter dem Gesichtspunkt, dass wir für industrielle Produkte stabile Lieferketten von meist mindestens zehn Jahren benötigen. Jede neu errichtete Chipfertigung ist essenziell, um die Versorgungssicherheit zu verbessern. Hier sprechen wir nicht nur von Leading-Edge-Fertigungen für die neuesten und kleinsten Prozessstrukturen, wie sie für all die Chips in Data Centers und Smartphones benötigt werden, sondern auch für die breitflächig genutzten sogenannten Legacy-Chips, also Chips, die in größeren Strukturgrößen gefertigt werden und für die Industrie und den Automotive- Bereich sehr wichtig sind.

Welchen Stellenwert hat das Unternehmen Siemens auf globaler Ebene bei der Entwicklung von Elektronikbauteilen?
Siemens hat bereits vor vielen Jahren die Bedeutung von Softwaretools für die Entwicklung von Produkten erkannt. Mit einer Akquisition im Jahr 2007 ist der Grundstein dafür gelegt worden. Mit der Übernahme von Mentor Graphics 2017 und darauffolgenden Zukäufen wurde die Durchgängigkeit der Tools für die Entwicklung von großen komplexen Systemen bis hinein in die Ebene von kleinen Elektronikbauteilen wie Chips vervollständigt. Ende 2020 ist dann aus der Marke Mentor Graphics schließlich Siemens EDA – Electronic Design Automation – entstanden. Wir sind einer der Top-3-Anbieter am Weltmarkt für Entwicklungstools von Chips und PCBs, also den mit verschiedenen elektronischen Komponenten bestückten Leiterplatten. Außerdem ist Siemens der einzige europäisch verwurzelte EDA-Anbieter unter den Top-3-Anbietern.

Portraitfoto von Herbert Taucher, Siemens© Siemens/Pepo Schuster

„Wir sind einer der Top-3-Anbieter am Weltmarkt für Entwickungstools von Chips und PCBs. Außerdem ist Siemens der einzige europäisch verwurzelte EDA-Anbieter unter den Top-3-Anbietern.“

Herbert Taucher, Technologiefeldleiter Integrated Circuits and Electronics


Was kann Siemens für Kunden aus der Chipindustrie anbieten?
Wir haben ein sehr umfangreiches Produktportfolio für die Chipindustrie. Bereits genannt wurde das EDA-Portfolio für das Chipdesign, das nicht nur alle Schritte der Erstellung des Bauplans für Chips abdeckt, sondern auch noch Verfahren für Test und Diagnose der gefertigten Chips beinhaltet. Entlang des Chip-Entwicklungsprozesses werden sehr viele Tools benötigt, um etwa die funktionale logische Korrektheit, die korrekte physikalische Implementierung sowie den schnellen und vollständigen Test der gefertigten Chips sicherzustellen. Für einige der wesentlichen Schritte in dieser Entwicklungskette ist Siemens EDA Technologie- und Weltmarktführer.

Gibt es auch Angebote für die Errichtung von Chipfertigungen?
Ja, für die Foundries erstreckt sich das Portfolio von Tools zur Planung der Chipfabriken bis zu den Produkten für die Infrastruktur einer solchen Fertigung wie Versorgung mit Energie, Flüssigkeiten und Gasen inklusive Automatisierungs- und Antriebstechnik Zusätzlich sind Siemens-Produkte – sowohl als Software als auch als Hardware – wesentliche Komponenten der Maschinen für die in Summe rund 1.000 Fertigungsprozessschritte im Reinraum der Foundry. Nicht zu vergessen, dass wir mit unseren auf Sustainability ausgerichteten gesamtheitlichen Branchenlösungen die Halbleiterindustrie dabei unterstützen, ihre Sustainability-Ziele zu erreichen, um damit nachhaltigere Chips auf den Markt bringen zu können.

Kannst du diesen Nachhaltigkeitsaspekt etwas näher beschreiben?
Die Chipindustrie ist einer der ganz großen Verbraucher von elektrischer Energie und trägt entsprechend zu den CO2-Emissionen bei. Mehr als 60 Elemente aus dem Periodensystem fließen in die Chipproduktion ein und werden in den Foundries in verschiedenen Prozessschritten weiterverarbeitet. Chips tragen jedoch in verschiedenen Dimension zu Nachhaltigkeit bei.

Welche Dimensionen sind das?
Energieeffiziente Compute-Architekturen sind die erste Dimension. Darunter versteht man, dass bestimmte Mikroarchitekturen von Chips für bestimmte Klassen von Software besonders effizient sind und diese besonders schnell oder besonders verlustleistungseffizient ausführen können. So, wie man in einem Data Center genau überlegt, welche Software auf einem General Purpose Processing Cluster oder einem GPU(Graphics Processing Unit)-Cluster laufen soll, so überlegt man sich auch, welche Kombination aus diesen Mikroarchitekturgrundbausteinen denn in einem Chip für ein Siemens-Produkt realisiert sein soll.

Eine weitere Dimension bilden die Leistungshalbleiter, die so effizient wie möglich leiten und schalten und dadurch so wenig wie möglich Verlustleistung aufweisen sollen, und das Low Power Design. Hier geht es darum, Chips und Elektronik auf minimalen Energieverbrauch zu optimieren, um beispielswiese die Batterielaufzeit zu maximieren. Damit erreicht man zum Beispiel, dass ein Batterietausch bei drahtlosen Sensorprodukten nur mehr alle paar Jahre notwendig ist und im Rahmen einer regulären Wartung der Maschine mit durchgeführt werden kann.

Und schließlich: Der Chip in einem Produkt ist sozusagen das Gehirn, das maßgeblich mitbestimmt, wie sich das Produkt hinsichtlich Effizienz verhält. Bei einer intelligenten Steuerung der Produkte durch die Software auf den Chips kann die Lebensdauer der Produkte erhöht werden und das Produkt als Ganzes wird nachhaltiger, weil es nicht nur länger hält, sondern auch weniger Verlustleistung generiert. Hier haben wir durch digitale Zwillinge auch noch die Möglichkeit, den Betrieb des Produkts, in dem der Chip eingebaut ist, schon vor der physikalischen Fertigung im Laufe der Entwicklung zu optimieren.

Eine ganze Menge an Nachhaltigkeitsaspekten.
Doch auch das ist noch nicht alles: Bei den Themen Energiemonitoring und -optimierung all der vielen Prozessschritte haben wir ein starkes Portfolio und viel Know-how, um den Produzenten zu helfen, ihren aktuellen CO2-Footprint zu verstehen und zu reduzieren. Ende letzten Jahres haben wir eine Partnerschaft mit Intel gestartet mit einer Reihe von Initiativen, darunter die Optimierung des Energiemanagements und die Reduzierung des CO2-Fußabdrucks entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Im Rahmen der Zusammenarbeit soll auch geprüft werden, wie sich der Energieverbrauch minimieren, Prozesse zur Verringerung des Verbrauchs natürlicher Rohstoffe weiterentwickeln und der ökologische Fußabdruck reduzieren lassen.

Welche Bedeutung haben die EU-Initiativen bzw. die anderer Weltregionen im Chipbereich für eure Forschungstätigkeiten?
Die einschlägigen Programme wie der EU-Chips-Act und vergleichbare Aktivitäten in den USA und der anderen Wirtschaftsregionen sind maßgebliche Treiber für die Verbesserung der Versorgungssicherheit und Innovation. Diese Programme adressieren vor allem den Aufbau von Ökosystemen rund um die Chipentwicklung und -fertigung. Forschung, kommerzielle Anbieter und Kunden arbeiten hier zusammen. Siemens ist dabei sowohl als Anbieter für EDA-Tools für die Chipentwicklung sowie Fertigungs- und Infrastrukturtechnologie als auch als Abnehmer von Chips für den breiten Einsatz in den Siemens-Produkten ein zentraler Partner. Die wesentlichen Forschungsschwerpunkte hierbei sind AI-gestützte Chipdesign-Methoden, energieeffiziente sichere Compute-Architekturen und Nachhaltigkeit entlang des Chiplebenszyklus.

Welche Rolle spielt AI momentan und künftig in der Chipentwicklung?
AI hat bereits eine hohe Bedeutung in der Chipentwicklung und diese hat nun nochmal einen zusätzlichen starken Schub durch Large Language Models und generative AI-Technologien bekommen. Einerseits wird AI eingesetzt als Unterstützung und teilweiser Ersatz für extrem rechenleistungsintensive analytische Algorithmen, die mit wachsender Komplexität der Chips nicht angemessen in ihrer Ausführungszeit skalieren, andererseits kommt sie zur Anwendung in Form von Chatbot-ähnlichen Funktionen als Co-Pilot, um Aspekte wie Entwicklungszeit, Qualität und Produktivität zu unterstützen. Es wird viel daran geforscht, wie Generative AI und Machine Learning zu einer effizienteren Chipentwicklung beitragen können. Die Fragestellung dabei lautet: Wie können diese Technologien genützt werden, damit erfahrene Entwickelnde künftig noch effektiver und schneller eine Elektronik- oder Chipentwicklung durchführen oder weniger erfahrene Entwickelnde durch eine KI-basierte Hilfestellung wesentlich herausforderndere Aufgabenstellung auf dem Niveau von erfahrenen Entwickelnden umsetzen können?

Gibt es auch noch andere Forschungsthemen?
In allen Themen, zu denen wir forschen, sind die ICE-Teams in Österreich auch in Zusammenarbeit mit den weiteren Forschungsgruppen der Siemens Technology in Österreich involviert. Wir können mit der in Österreich vorhandenen hohen Kompetenz viel zum globalen Technologiefeld beitragen.


Forschungsschwerpunkte im Technologiefeld Integrated Circuits and Electronics (ICE)

● Advanced Compute Architectures
Darunter versteht man die Komposition der Rechenfähigkeiten eines Chips aus verschiedenen auf die jeweilige Software abgestimmten Mikroarchitekturen. AI und GenAI als auszuführende Software erfordern von den Chips, auf denen sie laufen, spezielle Fähigkeiten, um effizient ausgeführt werden zu können. Das reicht von speziellen Instruktionserweiterungen für Prozessoren über spezielle Beschleunigerarchitekturen (Neural Processing Unit – NPU) bis hin zu neuromorphem Computing im engeren Sinn, das sich an die Funktionen des menschlichen Gehirns anlehnt. Aber auch echtzeitfähige und funktional sichere Chips erfordern spezielle Compute-Architekturen.

● Digital Twin for Electronics-based Systems
Hier geht es um die Verbindung des digitalen Zwillings eines Chips mit dem digitalen Zwilling einer Anlage oder eines Systems. Simuliert werden soll nicht nur das vereinfachte Verhalten eines Systems selbst, sondern die detaillierte Ausführung der Software des Systems durch den Chip in diesem System. Digital Twins von komplexen Systemen, etwa ein AMR (Autonomous Mobile Robot) in einer Fertigungshalle, mit einer Detailtreue bis hinein zur Simulation der Ausführung der Software im AMR für die Erfassung der Umgebung und die Bewegung des AMR auf einem simulierten Modell des Chips, eröffnen völlig neue Möglichkeiten der Optimierung von Produkten in der Entwicklung bis hin zur virtuellen Inbetriebnahme von Produkten in der Kundenumgebung.

● Novel wireless communication and sensing
Kabellose Kommunikation kann neben dem Datentransport auch noch andere wichtige Aufgaben erfüllen – etwa die Verwendung der Technologie für die Erfassung der Umgebung: Zusätzlich zum zuverlässigen Informationsaustausch ist speziell auch Lokalisierung eine Schlüsselfunktion für flexible Fertigungen. Diese muss in vielen Fällen auch Sicherheitsstandards zum Schutz von Leib und Leben genügen. Zusätzlich sind 5G und 6G für industrielle Anwendungen sowie intelligente Antennenlösungen zentrale Forschungsschwerpunkte.

● AI, Maschine Learning, Generative AI für effizientere Entwicklung (siehe Interview, letzte Antwort)

Infobox:

Halbleiter, Chips, Leiterplatten – was ist was?

Der Begriff Halbleiter als Gruppe von Elementen im Periodensystem mit speziellen Leitungseigenschaften wird umgangssprachlich auch als breiter Überbegriff für Chips verwendet. Die Abgrenzung ist nicht scharf. Unter dem umgangssprachlichen Begriff Halbleiter versteht man zum Beispiel auch Komponenten mit nur zwei (Dioden) oder drei (Transistoren, Thyristoren etc.) Anschlüssen. Mit Chips assoziiert man Komponenten mit einer größeren Anzahl von Anschlüssen. Chip und Integrierte Schaltung/Schaltkreis sind Synonyme. PCBs (Printed Circuit Boards), also Leiterplatten, integrieren die verschiedenen elektronischen Komponenten zu elektronischen Systemen, also Elektronik. PCBs sind Verbundwerkstoffe, bestehend aus Epoxidharz und Glasfasergewebe. Diese dünnen grünen Platten werden mit Kupferbahnen beaufschlagt und in der Folge gestapelt, wodurch die 2- bis 60-lagigen Leiterplatten entstehen. Auf diese werden dann Widerstände, Kondensatoren, Halbleiter (Dioden, Chips, …) und andere elektronische Komponenten gelötet



Über den Autor

Christian Lettner
Chefredakteur hi!tech