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Siemens

02.07.2025

Lesezeit 8 Min

Forschung & Entwicklung

Siemens

02.07.2025

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Alternatives Design für Computerchips

Ein großes Forschungsprojekt will die europäische Chipindustrie stärken und Abhängigkeiten reduzieren. Dabei wird auf Open Source gesetzt, um alternative Chipdesigns zu entwickeln.

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Alternatives Design für Computerchips

Moderne Industrieanlagen müssen hochgenau, zuverlässig und energieeffizient arbeiten. Ermöglicht wird dies durch moderne Computerchips, welche ein unverzichtbarer Bestandteil der Elektronikwertschöpfungskette quer über alle Anwendungsdomänen wie etwa Consumer Electronics, Industrieautomation, Kommunikation, Energie, Gesundheitswesen, Automotive, Aerospace oder Finanzsysteme sind. Dabei decken Chips ein breites Spektrum an Aufgaben ab, von einfacher Sensordatenverarbeitung (Microcontroller) bis zu hochkomplexen Steuerungs- und Datenverarbeitungsaufgaben mit künstlicher Intelligenz (High-Performance Computing). 2020 wurden weltweit etwa 1 Billion Chips produziert, bis 2030 soll sich dieser Wert, insbesondere durch starke Nachfrage im Automobilsektor, laut dem Chips-Survey der Europäischen Kommission verdoppeln.

Die Chipindustrie hat sich über die Jahrzehnte global aufgestellt und auf ein Kostenminimum optimiert. Daher sind die Lieferketten für die unterschiedlichsten Bestandteile aller Chips international verteilt und sehr spezialisiert. Eine Klasse solcher Bestandteile sind die sogenannten Design-IPs, die funktionalen Bausteine eines jeden Chips, wie beispielsweise Prozessorkerne, KI-Beschleuniger oder Speicheranbindungen. Aus diesem Grund sind die europäischen Chipproduzenten abhängig von Design-IPs und anderen Bestandteilen außerhalb Europas, namentlich aus den USA, Taiwan, Südkorea und Japan. In diesen Ländern sind die modernsten Chipfabriken (sogenannte Chip fabs) mit hoher Fertigungskapazität verortet. Nicht nur die fertigen physischen Chips, sondern auch kritische Chipkomponentendesigns, insbesondere Design-IPs für energieeffiziente und performante Prozessoren, müssen oft von außerhalb der EU bezogen werden.

Um die Chiptechnologie im europäischen Raum weiterzuentwickeln, verabschiedete die EU-Kommission den European Chips Act, der im September 2023 in Kraft trat. Dieser hat sich zum Ziel gesetzt, die Versorgungssicherheit Europas mit Chips zu gewährleisten, kontinuierlich den Markt zu beobachten und Maßnahmen für Krisensituationen (Versorgungsengpässe) zu definieren. Die EU hatte 2020 einen Anteil von etwa 10 Prozent am globalen Chipmarkt, durch den Chips Act soll sich dieser Wert bis 2030 verdoppeln. Ein weiteres Ziel ist die Erweiterung der europäischen Halbleiterinfrastruktur unter Nutzung von Synergien aus EU-weiten Forschungsprojekten.

Stärkung der europäischen Chipindustrie

Eines dieser Projekte zur Stärkung der europäischen Chipindustrie ist TRISTAN (Together for RISc-V Technology and ApplicatioNs). Dieses Forschungsprojekt wurde Ende 2022 im Rahmen des Chips- JU (Joint-Undertaking) der EU initiiert und ist eine Kooperation von 46 Partnern, darunter Universitäten, Forschungsinstitute und Industriepartner, zur Entwicklung von Open-Source-Technologien im Kontext von RISC-V (V steht für die Zahl fünf bzw. five) bzw. von Alternativen zu proprietären kommerziell verfügbaren Chipdesigns.

Das EU-Forschungsprojekt TRISTAN entwickelt Open-Source-Technologien als Alternativen zu proprietären kommerziellen Chipdesigns.

Zu den Projektpartnern zählt auch Siemens, dessen Electronic-Design- Automation(EDA)-Einheit eine zentrale Rolle am Weltmarkt für Chipentwicklung spielt. Siemens ist einer der Top-3-Anbieter für Entwicklungstools von Chips und Leiterplatten weltweit. Das Chipdesign beinhaltet neben allen Schritten der Erstellung des Bauplans für Chips auch noch Verfahren für Test und Diagnose der gefertigten Chips. Entlang des Chipentwicklungsprozesses werden daher eine Reihe von Tools benötigt, um etwa die funktionale logische Korrektheit, die korrekte physikalische Implementierung sowie den schnellen und vollständigen Test der gefertigten Chips sicherzustellen. Für einige der wesentlichen Schritte in dieser Entwicklungskette ist Siemens Technologie- und Weltmarktführer.

Integrated Circuits and Electronics (ICE) ist eines der wichtigsten Forschungs- und Entwicklungsfelder von Siemens. Siemens Österreich spielt mit der Leitung dieses globalen Technologiefeldes und zwei Forschungsgruppen innerhalb des Technologiefeldes (Electronics Design and Integrated Circuits und Electronics Communication and Radio Frequency) eine wichtige Rolle in diesem Bereich. „Durch die aktuellen Ereignisse in der globalen Handelspolitik hat der Forschungsgegenstand von TRISTAN noch mehr an Bedeutung gewonnen. TRISTAN trägt wesentlich zur Reduzierung der Abhängigkeiten von Europas Chipindustrie auf dem Gebiet der Design-IPs bei“, betont Herbert Taucher, Leiter des globalen Siemens-Technologiefeldes ICE.

Portraitfoto von Herbert Taucher, Leiter des globalen Siemens-Technologiefeldes ICE (Integrated Circuits and Electronics) © Siemens

“Durch die aktuellen Ereignisse in der globalen Handelspolitik hat der Forschungsgegenstand von TRISTAN noch mehr an Bedeutung gewonnen.“

Herbert Taucher, Leiter des globalen Siemens-Technologiefeldes ICE (Integrated Circuits and Electronics)

TRISTAN befindet sich derzeit im dritten Jahr und ist auf Low- bis Middle-Performance- RISC-V-Prozessoren, Prozessorperipherie, Softwareentwicklungstools und Libraries sowie Electronic Design Automation fokussiert. Die Open- Source-Ergebnisse aus TRISTAN werden auf der Tristan-Isolde Unified Access Page (zusammen mit dem EU-Partnerprojekt ISOLDE) der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt.

„RISC-V ist eine neue Möglichkeit in der Chipentwicklung, die eine lizenzkostenfreie und auf Open Source basierende Instruction Set Architecture (ISA) bietet“, erklärt Bernhard Fischer, TRISTAN-Projektleiter seitens Siemens`. Open- Source bedeutet, dass der Programmcode quelloffen, also frei zugänglich, und veränderbar ist. Die ISA-Spezifikation definiert den Befehlssatz (Instruktionen) eines Prozessors, die dieser ausführen kann. RISC steht für Reduced Instruction Set Computer – damit ist gemeint, dass die vom Prozessor unterstützte Anzahl von Befehlen gering ist und auch deren Komplexität einfach gehalten wurde (im Gegensatz zu CISC). Dadurch wird ein RISC-V-Chip einfacher in der Implementierung. RISC-V hat sich speziell auch als wichtige Technologie für Ausbildung und Lehre an Universitäten etabliert.

Portraitfoto Bernhard Fischer, TRISTAN-Projektleiter, Forschungsgruppe Electronics Design and Integrated Circuits, Siemens Österreich © Siemens

“In den nächsten zwei Jahren wird in etwa eine Verdoppelung der ausgelieferten RISC-V-basierten System-on-Chip erwartet.“

Bernhard Fischer, TRISTAN-Projektleiter, Forschungsgruppe Electronics Design and Integrated Circuits, Siemens Österreich

Doch auch kommerziell gibt es einen wachsenden Markt an RISC-V-Design-IPs und RISC-V-basierten Chips. „In den nächsten zwei Jahren wird in etwa eine Verdoppelung der ausgelieferten RISCV- basierten SoCs, System-on-Chip, erwartet“, so Fischer, der bei Siemens Österreich in der Forschungsgruppe Electronics Design and Integrated Circuits tätig ist. Rund um RISC-V wird nun auch ein vergleichbares Geschäftsmodell entwickelt, wie es für die etablierten (proprietären) Prozessorarchitekturen besteht. Dieses basiert in der Regel auf Kosten für Design-IPs und Lizenzgebühren für die produzierten Chips.

„Unsere EDA-Tools sind bereits in der Lage, die neuen, wachsenden Technologien rund um RISC-V zu unterstützen. Durch die Zusammenarbeit mit dem RISC-V-Ökosystem wollen wir die Vorteile von RISC-V zukünftig auch verstärkt für unsere eigenen hardwarebasierten Produkte nutzen“, sagt Martin Matschnig von Siemens Österreich, der Leiter der Forschungsgruppe Electronics Design and Integrated Circuits. „Ziel ist es, unser existierendes EDA-Portfolio speziell für die Entwicklung von RISC-V-basierten Chips zu erweitern“, so Matschnig. „Dabei wollen wir die individuelle Anpassbarkeit von RISC-V nutzen, um die bestimmten Fähigkeiten, die ein RISC-V-Chip braucht, automatisch zu identifizieren und realisieren. Außerdem arbeiten wir im Projekt TRISTAN an der Unterstützung der Verifikation von RISC-V-basierten Systemen durch KI. So soll das Finden von Fehlerursachen zielgerichteter stattfinden und durch eine intelligente Priorisierung sollen Fehler früher gefunden werden können“, ergänzt Bernhard Fischer.

Portraitfoto von Martin Matschnig, Leiter der Forschungsgruppe Electronics Design and Integrated Circuits, Siemens Österreich © Siemens

“Durch die Zusammenarbeit mit dem RISC-V-Ökosystem wollen wir die Vorteile von RISC-V zukünftig auch verstärkt für unsere eigenen Hardware-basierten Produkte nutzen.“

Martin Matschnig, Leiter der Forschungsgruppe Electronics Design and Integrated Circuits, Siemens Österreich

TRISTAN has received funding from the Chips Joint Undertaking (Chips JU) under grant agreement nr. 101095947. The Chips JU receives support from the European Union’s Horizon Europe’s research and innovation programmes. TRISTAN receives top-up funding by the Austrian Research Promotion Agency (FFG) and the program “ICT of the Future” of the Austrian Federal Ministry for Climate Action, Environment, Energy, Mobility, Innovation and Technology (BMK).