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Die Energiewende braucht Smart Grids

Das Gelingen der Energiewende wird im Stromnetz entschieden.“ Dieses Zitat…

Digitale Transformation

17.07.2023

Lesezeit 7 Min

Christian Lettner

Das Gelingen der Energiewende wird im Stromnetz entschieden.“ Dieses Zitat stammt von Gerhard Christiner, Vorstand des österreichischen Übertragungsnetzanbieters Austrian Power Grid (APG). Was meint er damit? Er will darauf aufmerksam machen, dass die Netzkapazitäten in Österreich nicht ausreichen, „um jederzeit preisgünstig verfügbaren Strom aus dem Ausland nach Österreich zu importieren.“ Die APG musste daher im Jahr 2022 an 237 Tagen das Stromnetz durch Notfallmaßnahmen wie das Hochfahren von österreichischen Gaskraftwerken, sogenanntes Redispatching im Gleichgewicht halten. Doch es geht nicht nur um diese benötigte fossile Zusatzenergie zur Stabilisierung. Aufgrund der Engpässe im Netz wird es bei dem geplanten Ausbau der Erneuerbaren Energien dazu kommen, dass „in wind und sonnenreichen Stunden Erneuerbare immer häufiger“ abgedrosselt werden müssen, so der APG-Vorstand.

Stromleitungen als Flaschenhals

Was für die Hochspannung gilt, für welche die APG als Übertragungsnetzbetreiber zuständig ist, gilt auch für die Niederspannung und die dafür zuständigen Verteilnetzbetreiber, die mit ihren Verteilnetzen in der untersten Ebene des Stromnetzes auch Häuser und Wohnungen versorgen. „Auch im Niederspannungsnetz gibt es Beschränkungen durch die existierenden Stromleitungen, in dem Sinne, dass nicht beliebig viel Strom etwa in Zeiten hoher Einspeisung von Wind- oder Sonnenenergie transportiert werden kann. Andererseits gibt es auf der Seite der Kunden immer mehr Bedarf an Strom etwa durch Wärmepumpen oder Elektroautos, die geladen werden müssen“, stellt Wolfgang Rittsteiger, Projektleiter für Netzthemen bei Siemens Österreich, fest. Um das Stromnetz vor einer Überlastung zu schützen müssen Lastspitzen, also sehr hoher Verbrauch in einer kurzen Zeit, vermieden werden.

Smart Grids sind eine Lösung für dieses Dilemma, denn es wäre viel zu teuer und würde viel zu lange dauern, das Leitungsnetz entsprechend auszubauen oder zu verstärken. Durch den Einsatz von intelligenter Software ist es möglich, die bestehende Infrastruktur besser auszunützen. Im Rahmen des Forschungsprojekts Aspern Smart City Research in Aspern Seestadt in Wien wird gerade an einer solchen smarten Lösung mittels Datenverarbeitung und Einsatz intelligenter Technologie gearbeitet.

Gegenstand der Forschung dort ist unter anderem ein variabler PCC, Point of Common Coupling. Was ist damit gemeint? Als Forschungsinfrastruktur dient eine Parkgarage mit Elektromobilitätsladeinfrastruktur. Und hier kommt der PCC ins Spiel: Das ist nämlich der Punkt, wo Gebäude an das Stromnetz angeschlossen sind. Dieser Anschluss ist durch einen Wert definiert, der festlegt, wie viel Leistung ein Gebäude maximal vom Stromnetz beziehen darf.

Momentan ist dieser Anschlusswert eine fix zugewiesene Größe. Die Forschungsinhalte von Siemens und seinen Partnern gehen aber in die Richtung, diesen Wert zukünftig variabel gestalten zu können. Voraussetzung dafür ist eine intelligente Trafostation, die Bescheid weiß, welche Verbraucher, im Sinne von Häusern, Gebäuden oder auch Parkgaragen, an ihr angeschlossen sind und welchen Stromverbrauch diese jeweils aktuell haben. „Die Idee ist nun, dass der Transformator, durch den die Lastgrenze definiert ist, quasi mit den an seinen Leitungen angeschlossenen Abnehmern aller Art „verhandelt“ und einzelnen von ihnen für eine gewisse Zeit mehr Leistung zur Verfügung stellt“, so Rittsteiger. Das kann die smarte Trafostation umsetzen, weil sie ihre Limits in Bezug auf ihre Beschaffenheit kennt und sie aktuelle Belastungszustände der Abgänge misst.

Ein Parkhaus mit Lademöglichkeiten für Elektroautos könnte in diesem Zukunftsszenario bei der intelligenten Trafostation „abfragen“, ob es für eine gewisse Zeit mehr Strom beziehen kann, weil in der Garage die Ladestationen mehr Strom benötigen, als es der Basisanschlusswert des Gebäudes vorsieht. „Falls die intelligente Trafostation nun erkennt, dass andere Verbraucher gerade weniger Leistung beziehen, kann sie dem Wunsch nachkommen und vorübergehend dem Parkhaus mehr Strom zur Verfügung stellen. Da eine Mehrbelastung mitunter nur vorübergehend auftritt und die Last zu einem späteren Zeitpunkt wieder auf das Normalniveau sinkt, ist von dem schon erwähnten variablen PCC oder Netzanschlusspunkt die Rede“, erklärt Smart-Grid-Experte Rittsteiger. Netzbetreibern hilft dieses Szenario, indem sie mit Hilfe von SmartGrid-Lösungen Kundenwünsche rascher und kostengünstiger bedienen können, indem sie bestehende Leitungen effizienter nutzen.

Innovationen von Siemens ermöglichen, dass bestehende Stromnetze, etwa in Bezug auf das Laden von Elektroautos, effizienter genutzt werden können.


Auch in dem zweiten Beispiel, das zeigt, wie intelligente Technologien die elektrische Infrastruktur in einem Gebäude besser nutzbar machen, spielt eine Garage eine Rolle. Diesmal handelt es sich um die des Siemens>Innovationhub>Oberösterreich, der neuen Siemens-Niederlassung in Linz (hi!tech berichtete über diesen innovativen Standort). Dort wird gerade eine Ladeinfrastruktur für Elektroautos errichtet, die in ein intelligentes System integriert sein wird, welches das Anschlussmaximum des Stromanschlusses für das gesamte Gebäude nicht überschreiten lassen wird. Während sich die zuvor beschriebenen Forschungsaktivitäten in Wien bewusst außerhalb des aktuell geltenden regulatorischen Rahmens bewegen und für Netzbetreiber innovative Konzepte für die Zukunft entworfen werden, kann die Umsetzung der Vorhaben in Linz Gebäudebetreibern schon heute konkrete Einsparungen bringen.

Reserve in Gebäudelastkurve nutzen

Für das Techbase Linz genannte, neu errichtete Gebäude, in dem sich die Siemens-Niederlassung befindet, ist Folgendes geplant: Die Gebäudelast des Techbase, d.h. der schwankende Energieverbrauch des Gebäudes je nach Belegung, Tageszeit usw., soll so mit der E-Ladeinfrastruktur kombiniert werden, dass es zu keiner Überschreitung der Anschlussleistung des Gebäudes kommt. So eine kommt den Gebäudebetreiber nämlich teuer zu stehen.

Das Konzept für das Projekt in Linz sieht so aus: Ein Bürogebäude verbraucht während des Tages und auch während des Jahres unterschiedlich viel Energie. Füllen sich etwa ab dem Morgen die Büros, so steigt der Energiebedarf, während des Essens und ab dem Nachmittag geht dieser wieder zurück, bis der Leistungslevel auf einen Basiswert sinkt, wenn alle Menschen ihren Arbeitsplatz verlassen haben. „Aus diesem Muster ergibt sich eine Lastkurve eines Gebäudes. Meist ist in dieser Kurve bis zum vom Netzbetreiber vorgegebenen Anschlussmaximum eine nicht genutzte Reserve. Und genau dieser Puffer soll im Techbase unter Verwendung einer intelligenten Steuerung für das Laden von Elektroautos für Mitarbeitende und Gäste genutzt werden“, so Rittsteiger. Dabei wird aber besonderes Augenmerk darauf gelegt, dass niemals das Maximum der vom Gebäude aus dem Stromnetz bezogenen Leistung überschritten wird. Der Schlüssel zu diesem flexiblen System ist, dass man die Ladevorgänge über die Zeit optimiert. Statt Lastspitzen zu erzeugen, wird die Stromabgabe an Elektromobile zeitlich verteilt und dabei dennoch auf die Bedürfnisse der Elektroautonutzenden Rücksicht genommen; etwa, dass Autos der Vertriebsmitarbeitenden für Besuche bei Kunden früher aufgeladen sein müssen.

Beide Beispiele aus Wien und Linz zeigen, wie durch Digitalisierungs- und Softwarelösungen Lastspitzen vermieden werden können und die bestehende Stromleitungsinfrastruktur effizienter betrieben werden kann, sodass die vorhandenen Netzkapazitäten kein Hindernis für die optimale Versorgung der Kunden mit Strom sind und die Energiewende – in Anlehnung an das Zitat zu Beginn – auch mit dem vorhandenen Stromnetz gelingen kann.

In der Siemens-Niederlassung in Linz wird ein intelligentes System in Kombination mit der E-Ladeinfrastruktur errichtet, welches das Leistungsmaximum des Stromanschlusses für das gesamte Gebäude nicht überschreiten lassen wird.

Über den Autor

Christian Lettner
Chefredakteur hi!tech