Computer programmer coding on modern computer with AI Artificial Intelligence. Data science, software development, cloud computing, digital technology, big data management concept © stock.adobe.com
Artikel drucken

Digitale Helfer in Menschenhand

Für eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe muss die Mensch-Maschine- Interaktion noch bewusster gestaltet werden. Auch wenn KI wie die sprichwörtliche Zauberhand...

Digitale Transformation

09.01.2025

Lesezeit 8 Min

Siemens

Zahlen, bitte! Im ersten Halbjahr 2024 hat die Statistik Austria, in Einklang mit dem europäischen Datenset, den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) in österreichischen Unternehmen erhoben. Bereits eines von fünf Unternehmen nutzt KI-Technologien, während es 2023 eines von zehn war. Das starke Wachstum lässt sich vor allem auf die Nutzung von Tools zur Texterkennung und -verarbeitung sowie Sprachgenerierung zurückführen.

Befragt wurden 6.600 österreichische Unternehmen, branchenübergreifend, ab zehn Beschäftigten, von Bau und Handel, Warenherstellung, Energie- und Wasserversorgung über Kfz-Reparatur, Verkehr, Hotel und Gastronomie bis hin zu IKT, Immobilien und Dienstleistung. „Anteilsmäßig nutzen mehr große als kleine Unternehmen KI-Technologien, und mehr Unternehmen aus dem Dienstleistungsbereich als aus dem produzierenden Bereich“, so Tobias Thomas, Generaldirektor der Statistik Austria. Am häufigsten wird KI zur Texterkennung und -verarbeitung eingesetzt (65 Prozent der KI-nutzenden Unternehmen), beliebt sind auch Sprachgenerierung (41 Prozent), Spracherkennung (29 Prozent), Datenanalyse (rund ein Drittel) und Prozessautomatisierung (rund ein Viertel). KI-Technologien zur Bilderkennung und -verarbeitung sowie autonom fahrende Maschinen oder Fahrzeuge sind weniger stark im Einsatz.

Und wie geht es Beschäftigten damit? Sind sie erfreut oder verängstigt, wenn ChatGPT flüssig einen Text runterschreibt, wie man ihn mit Nachdenken und Zehnfingersystem so schnell nicht verfassen könnte? Und wer überprüft hinterher, was da generiert wurde? Ob es faktisch korrekt oder eher gut klingender Quatsch ist? Ganz abgesehen davon, dass die Wundermaschine unter massiver Verletzung von Urheberrechten trainiert worden sein könnte. Ein früherer OpenAI-Entwickler sagte der New York Times Ende Oktober 2024, dass die Software- Firma geschützte Inhalte aus dem Internet ohne Erlaubnis genutzt hat. Seit der Veröffentlichung vor knapp zwei Jahren haben zahlreiche Künstler:innen, Verlage und Unternehmen OpenAI und andere KI-Entwickler wegen angeblicher Urheberrechtsverletzungen verklagt.

Die kostenlose Version von ChatGPT3 ist gleichsam das Postergirl der KI-Nutzung im (Arbeits-)Alltag. Das Tool gendert in deutschen Texten konsequent nicht, was damit zu tun hat, dass auch seine Trainingsdaten nicht frei von Diskriminierungen und überkommenen Rollenbildern sind. Wie gut der Output ist, hängt neben der Version davon ab, wie gut man promptet – also Befehle eingibt – und wie viel man selbst von der Materie versteht. Unter diesen drei Voraussetzungen wird erkennbar, wie oberflächlich das kostenlose Ergebnis oft ist, wie wenig differenziert oder innovativ die Argumentation, und auch die eine oder andere Halluzination ist darin enthalten. Das kann uns beim Geburtstagsgedicht für den Opa egal sein. Aber in anderen Fällen nicht.

Studien zur Arbeitswelt

Aktuelle OECD-Erhebungen unter Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen ergaben: Trotz des Vertrauens, das viele Arbeitskräfte ihren Firmen bei der Einführung von KI am Arbeitsplatz entgegenbringen, könnte noch mehr getan werden, um das Vertrauen zu stärken. Beide Seiten äußern sich positiv über die Auswirkungen von KI auf die Leistung und die Arbeitsbedingungen. Die Sorge um den möglichen Verlust von Arbeitsplätzen bleibt. Die Befragungen zeigen zudem, dass berufliche Weiterbildung und mehr Einbeziehung der Beschäftigten wünschenswert wären.

In einer Studie für das deutsche Bundesministerium für Arbeit und Soziales aus dem Jahr 2021/22 wurden fünf Szenarien zur „Mensch-Technik-Interaktion 2030“ erarbeitet. Das ambivalente Szenario wird als am wahrscheinlichsten beurteilt. Worin besteht die Ambivalenz? Trotz wachsender Leistungs- und Lernfähigkeit von KI würde, so die Annahme für 2030, die Automatisierung im klassischen Produktivitätsparadigma gefangen bleiben. Eine echte Vertrautheit mit Künstlicher Intelligenz bliebe Expert:innen in Innovationscommunitys vorbehalten und eine offene Datennutzung durch begrenzte Zugänge eingeschränkt.

Automatisierungslösungen durch KI kämen etwa in industriellen Prozessen, für Human Resources oder Controlling zum Einsatz. Beschäftigte würden so von manuellen und kognitiven Routinetätigkeiten entlastet, was ein Kennzeichen von höherer Arbeitsqualität sein kann. Das Gros der Beschäftigten in Deutschland, so die Studie, würde in diesem Szenario die Interaktion mit intelligenten Systemen weiterhin nicht als Erweiterung ihrer Handlungs- und Gestaltungsspielräume erleben. Eine rein effizienzorientierte Automatisierung überwindet keine Abteilungsstrukturen und bemisst das Potenzial der Mitarbeitenden weiterhin entlang bewährter Qualifikationen und Zugänge. Eine humanzentrierte Mensch-Technik-Interaktion könnte anders gestaltet werden.

© Siemens
Rebecca Johnson und ihr Team bei Siemens beschäftigen sich mit einem speziellen Aspekt der Mensch-Maschine-Interaktion: künstliche Empathie.

Mit der Weiterentwicklung der Mensch- Maschine-Interaktion beschäftigt sich etwa Rebecca Johnson, Forschungsbereichsleiterin bei Siemens. Ihr Fachgebiet: künstliche Empathie mit dem Verständnis, dass die Mensch-Maschine- Kollaboration nicht nur eine Frage der Funktionalität ist. Es geht um konkrete Erfahrungen in der Zusammenarbeit. Wie zufrieden sind Nutzer:innen bei der Interaktion mit digitalen Begleiter:innen? Können sie ihre Absichten mitteilen und kann eine Bindung entstehen? Diese Bindung steht im Mittelpunkt der Arbeit von Johnson und ihrem Team. Gemeinsam trainieren sie Avatare für digitale Schnittstellen und immersive Umgebungen, wie zum Beispiel Webseiten, digitale Anzeigen oder Lernanwendungen. Als digitale Gefährten sollen diese aktiv zuhören, verstehen und mitfühlen können: „Wir sind auf dem besten Weg, Maschinen zu unseren persönlichen, digitalen und empathischen Begleitern oder Assistenten zu machen“, sagt Rebecca Johnson. Fortschritte in der Infrastruktur ermöglichen dies, so Johnson: „Wir haben leistungsfähigere Computer, höhere Bandbreiten und bessere Kameras, um menschliche Gesichter zu analysieren. Wir kombinieren das mit psychologischen Erkenntnissen und ziehen Spezialist:innen für Psychologie oder Verhandlungen hinzu, um zu erkennen, worauf es ankommt, und es richtig zu bewerten.“

Das bringt uns näher an konkrete Wünsche der Österreicher:innen für das Leben 2035. 2024 befragte die Mediaagentur dentsu 30.000 Menschen in 27 europäischen Ländern sowie 20 Fachleute. 28 Prozent der Befragten in Österreich wünschten sich einen KI-Klon von sich selbst, der sich um alltägliche Aufgaben kümmert, etwa Meetings plant, oder Einkaufs-, Verwaltungs- und Kommunikationsaufgaben übernimmt. 60 Prozent möchten, dass Informationen durch Technologie nahtlos in das eigene Umfeld und die Umgebung eingebettet und mit Devices abgerufen werden können. Mehr als die Hälfte der Österreicher: innen erwartet sich laut dentsu-Befragung, dass Geräte und Fahrzeuge Ersatzteile selbst nachbestellen und selbstständig Servicetermine ausmachen.

© Getty Images
Viele Österreicher:innen wünschen sich einen KI-Klon von sich selbst, der sich um alltägliche Aufgaben wie etwa den Einkauf kümmert.

Die OECD nahm länderübergreifend konkret den Finanzsektor und das verarbeitende Gewerbe in den Fokus. Als Anwendungsbereiche für KI-Tools wurden das Aufdecken von Betrug, Trading-Algorithmen, Chatbots in der Kundenkommunikation oder Werkzeuge zur Finanzprognose genannt. Im verarbeitenden Gewerbe kommt KI bei autonomen Fahrzeugen im Warenlager, der visuellen Inspektion von Objekten oder zum Aufdecken möglicher Ineffizienz zum Einsatz. Der Einfluss von KI betrifft also eine breite Palette von Aufgaben und Berufen, aber die Beschäftigungsniveaus sind stabil geblieben. Insgesamt führt der Einsatz von KI in der Arbeitswelt eher zu einer Umorganisation von Tätigkeiten als zu Arbeitsplatzverlusten. Durch Automatisierung werden monotone Aufgaben reduziert. Die Einführung von KI-Technologien erfordert aber auch ein höheres Kompetenzniveau und ein breiteres Kompetenzspektrum.

Jetzt ist wohl der richtige Zeitpunkt, um noch einmal nachzudenken, welche „Zauberlehrlinge“ zu welchem Zweck auf den Weg gebracht werden. Künstliche Intelligenz ist eine Technologie, die für vielfältige Anwendungen und Aufgaben zum Einsatz kommen kann. Was wir kostenlos über Apps und Browser aufrufen können, sind zumeist Anwendungen, die fünf große Technologieunternehmen ausgerollt, entwickelt und gefüttert haben (Alphabet, Amazon, Apple, Meta und Microsoft). (Europäische) Eigenentwicklungen sind aufgrund der strengeren Gesetzeslage manchmal besser darin, Schnittstellen zu bauen, die Menschen tatsächlich im Arbeitsprozess behalten. Immer mehr Firmen geben sich KI-Guidelines, die die Nutzung regeln und ausschildern sollen, um durch Transparenz Vertrauen zu schaffen. Ohne Expertise im Einsatzfeld der KI und die nötige Digital Literacy, um sie sinnvoll und sicher zu nutzen, bleibt fraglich, wie sehr uns die Technologie weiterhilft. Denn sie macht uns auch verletzlich durch Manipulation oder Falschinformationen. Und wir könnten ihr gesamtes Potenzial gar nicht ausschöpfen, weil wir vielleicht nie die Expertise entwickeln, die wir eigentlich dafür bräuchten.