Digitale Lösungen für Recycling- und Kreislaufwirtschaft
Doppelinterview mit Barbara Mayer, Teamlead Standardization&Innovation
im Bereich Sense and Act, und Herbert Tanner, Entwicklungsleiter industrielle
Software, – beide für Siemens Österreich tätig – über aktuelle Forschungsprojekte
im Recyclingökosystem in der Steiermark.
Digitale Lösungen für Recycling- und Kreislaufwirtschaft
Was war der Anlass für Siemens, sich stärker bei den Themen Recycling und Kreislaufwirtschaft zu engagieren und hier bessere technische Lösungen zu entwickeln?
Herbert Tanner: Die Bedeutung von Nachhaltigkeit wird ja essenziell in unserem DEGREE-Framework abgebildet. Neben unserer Verantwortung als Unternehmen geht es auch darum, unsere Kunden bei der Erfüllung ihrer Nachhaltigkeitsziele zu unterstützen. Eines der zentralen Handlungsfelder dabei ist „Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft“, basierend auf Digitalisierung. Mit unserem strategischen Xcelerator- Ansatz erarbeiten wir gemeinsam mit Partnern, Kunden und Forschungseinrichtungen neue, digitale Lösungen. Der Bedarf an diesen Lösungen ist gerade für die Recycling- und Kreislaufwirtschaft immens hoch. Speziell in Europa gibt es eine besondere Expertise in diesem Bereich, die durchaus das Potenzial hat, zu einer europäischen Schlüsselkompetenz zu werden.
“Speziell in Europa gibt es eine besondere Expertise im Bereich Recycling- und Kreislaufwirtschaft, die durchaus das Potenzial hat, zu einer europäischen Schlüsselkompetenz zu werden.“
Herbert Tanner, Entwicklungsleiter industrielle Software sowie Standortleiter Steiermark und Kärnten, Siemens Österreich
Seit wann besteht in der Steiermark die Forschungszusammenarbeit mit der Montanuniversität Leoben zum Monitoring und der Erhöhung der Recyclingquote bei Altkunststoffen?
Herbert Tanner: Wir haben diese Kooperation schon 2019 gestartet und sukzessive erweitert. Derzeit arbeiten wir mit ausgewählten Unternehmens- und wissenschaftlichen Partnern im ReWaste-F-Projekt (Recycling & Recovery of Waste for Future) an einer „Smart Waste Factory“ in Verbindung mit einer auf Standards basierenden digitalen Plattform. Weiters beschäftigen wir uns bei „recAIcle“ (Recycling oriented collaborative waste sorting by continual learning) mit der Steigerung von Effizienz und Nachhaltigkeit des Recyclings mit KI-Methoden. Die Montan-Uni Leoben ist ein stabiler und verlässlicher Partner und besitzt eine überragende Expertise im Bereich Recycling und Kreislaufwirtschaft.
Wie hoch ist die aktuelle Recyclingquote in Europa und welche Vorgaben gilt es hier zu erreichen?
Barbara Mayer: Im Jahr 2022 betrug die Recyclingquote von Kunststoffverpackungen innerhalb der Europäischen Union knapp 41 Prozent. Als Teil des europäischen Green Deals sollen bis 2030 55 Prozent der Kunststoffverpackungsabfälle recycelt werden und das bei immer noch steigendem Gesamtaufkommen.
Was genau war die technische Idee, wie eine Verbesserung der Recyclingquote zu erreichen ist, bzw. wie funktioniert der Ablauf in der tatsächlichen Umsetzung?
Barbara Mayer: Beim Kunststoffrecycling gibt es viele Herausforderungen: etwa die unbekannte Qualität des Eingangsmaterials oder Stillstandszeiten einzelner Komponenten durch Verunreinigungen. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, zielt die Lösung, die wir im Projekt ReWaste F verfolgen, auf eine verbesserte Stoffstromanalyse an den Förderbändern ab. Die Forschungsanlage in Leoben besteht aus Fördertechnik, die den Abfall transportiert, aus Sensorik, um die Abfallbestandteile nach Materialeigenschaften charakterisieren zu können, und aus einer Sortiereinheit, die die verschiedenen Abfallarten auf Basis der Bestimmung durch Sensoren trennt. Diese Sensoren können auch Metalle erkennen und arbeiten mit Infrarot und Kameras. Die einzelnen Abfallbestandteile werden auf einem Bildschirm farblich kategorisiert. Wir als Siemens haben für das Digital Waste Research Lab eine Recycling-Analyse-Softwareplattform entwickelt. Diese Softwarelösung ist die Basis für die Einteilung des Abfalls mithilfe der verschiedenen Sensoren in bestimmte Kategorien und das unterstützt ein optimales Recyclingergebnis.
Die Datenanalyseplattform von Siemens dient der Zusammenführung und Auswertung der notwendigen Sensoren für die Stoffstromanalyse.
In dem erwähnten Research Lab der Montanuniversität Leoben ist ja bereits eine Forschungsanlage in Betrieb – was hat Siemens an technischem Know-how bzw. Software und Produkten dazu beigetragen?
Barbara Mayer: Im Digital Waste Research Lab gibt es neben einer Siemens- SIMATIC-Steuerung und weiteren Automatisierungskomponenten für den Betrieb der Forschungsanlage auch eine Datenanalyseplattform. Sie dient der Zusammenführung und Auswertung der notwendigen Sensoren für die Stoffstromanalyse. Darüber hinaus kommen im ReWaste-F-Projekt noch weitere Siemens-Industrial-Edge-Komponenten für die Umsetzung der Smart Waste Factory zum Einsatz. Es war uns wichtig, bei der Umsetzung auf einen internationalen Standard zu setzen, nämlich auf das Modul Type Package (MTP). Dieser Standard spiegelt sich im Einsatz von Bibliotheken auf mehreren Ebenen wider: bei der Steuerung, im Bereich Edge (MTP Machine Proxy, Datenaustauschplattform) und auf dem Gebiet des Prozessleitsystems (WinCC Unified).
Wie ist der aktuelle Stand bei diesem Forschungsprojekt? Welche Fortschritte konnten dabei bisher erzielt werden?
Barbara Mayer: ReWaste F ist das FFG-Nachfolgeprojekt von „REWASTE 4.0“, das bereits von 2017 bis 2021 lief. Im Juni 2025 findet nun die finale Tagung des Management Boards an der Montanuniversität Leoben statt. Die Ergebnisse von ReWaste F waren durchaus beachtlich: damit konnte unseres Wissens nach die weltweit erste Kunststoffrecyclinganlage realisiert werden, die auf dem MTP-Standard basiert. Wir wollen auch künftig Forschungsschwerpunkte mit der Montanuni setzen, besonders hinsichtlich des digitalen Zwillings. Ziel ist es, die Erstellung eines digitalen Abbilds solcher Recyclinganlagen voranzubringen und so die Kreislaufwirtschaft sowie die Digitalisierung im Recyclingbereich weiter zu stärken. Somit zeichnen sich über ReWaste F hinaus bereits zusätzliche Aktivitäten ab, die an die bisherigen Erfolge anknüpfen können.
“Ziel ist es, die Erstellung eines
digitalen Abbilds von Recyclinganlagen voranzubringen und so Kreislaufwirtschaft sowie Digitalisierung weiter zu stärken.“
Barbara Mayer, Teamlead Standardization&Innovation im Bereich Sense and Act, Siemens Österreich
Gibt es bereits Gespräche bzw. potenzielle Partner für eine Anwendung in einem größeren industriellen Rahmen?
Herbert Tanner: Natürlich ist es unser Ziel, die bei den Forschungsprojekten erarbeiteten Grundlagen auf breiter Basis einzusetzen. Sollte sich MTP als Standard für Recycling durchsetzen, bietet Siemens umfangreiche Tools, Software und Hardware an, die MTP unterstützen. Der Schlüssel zum Erfolg ist aber letztlich die Vorgabe von Betreibern wie etwa von einem unserer Ökosystempartner, Saubermacher. Sollten sie MTP als Standardschnittstelle ihrer Zulieferer einfordern, dann wäre damit ein großer Schritt in Richtung Breiteneinsatz geschafft und die Basis für den weltweiten Einsatz dieser Technologie gelegt.
Wie beurteilst du generell die Aktivitäten in Bezug auf Nachhaltigkeit und den Kampf gegen den Klimawandel? Wird genug getan?
Herbert Tanner: Man kann freilich immer mehr tun. Und oft wird auch unterschätzt, was möglich ist. Denn jeder Einzelne kann etwas dazu beitragen, die Umwelt zu erhalten – beispielsweise indem man über sein Einkaufsverhalten Druck auf Unternehmen ausübt, nachhaltiger zu werden. Aus meiner Sicht sind wir bei Siemens mit unserer Nachhaltigkeitsstrategie gut aufgestellt und auch auf einem guten Weg. Mit dieser grundsätzlichen Konzernphilosophie war es auch für uns einfacher, uns aktiv in der Kunststoffrecycling-Branche einzubringen.