Forschung für eine erfolgreiche Energiewende
Eine Vorstellung ausgewählter Forschungsprojekte, die sich mit den Herausforderungen der Energiewende beschäftigen.
Christian Lettner
Durch die Energiewende wird das System der Energieerzeugung und -verteilung immer dezentraler, volatiler und damit auch komplexer. Das hat hauptsächlich mit der steigenden Anzahl von lokalen erneuerbaren Erzeugungseinheiten (Photovoltaik) und von Verbrauchern im Stromnetz (Wärmepumpen, Elektroautos, …) zu tun. Diese Konstellation stellt alle Beteiligten, also Netzbetreiber, Energielieferanten, Technologiehersteller und letztendlich auch Kunden, vor große Aufgaben, die nur gemeinsam gelöst werden können. Es gibt dafür keine Einzellösung, vielmehr muss an vielen verschiedenen Stellen angesetzt werden, um eine der größten Herausforderungen unserer Zeit zu meistern – nämlich die Stabilität des Stromnetzes in Zeiten der Energiewende aufrechtzuerhalten und damit das gewohnt hohe Maß an Versorgungssicherheit zu erhalten. Neben der generellen Funktionsfähigkeit der Netzinfrastruktur ist für die betreibenden Unternehmen ein effizienter und ökonomisch vertretbarer Betrieb sehr wichtig.
Es handelt sich hier um eine besondere Situation, bei der die Auslöser der Probleme gleichzeitig Teil der Lösung sind. Was ist damit gemeint? Einerseits sind die vielen erwähnten neuen Erzeugungs- und Verbrauchseinheiten eine Herausforderung für den Netzbetrieb, der durch sie komplexer und unübersichtlicher wird. Auf der anderen Seite sind es genau diese neuen Marktteilnehmer, die wiederum zur Lösung – also zu einem sicheren Netzbetrieb – beitragen können.
Flexibilitäten als Schlüsselelement
Das „Zauberwort“ in diesem Dilemma heißt Flexibilitäten. Die neue Volatilität im Energiesystem bedingt, dass das System flexibler werden muss, um besser mit den kurzfristig auftretenden Belastungen der Infrastruktur umgehen zu können. Dabei helfen werden die vielen neuen aktiven Kunden, deren flexible Erzeuger, Lasten und Speicher lokal, aber auch als Gesamtheit zusammengefasst ihren Beitrag zu einem stabilen Netzbetrieb leisten. Dafür müssen diese aber netzverträglich integriert werden – von einzelnen PV-Anlagen oder Ladestationen für Elektroautos bis hin zu Anlagen der Großindustrie. Voraussetzung dafür ist wiederum, dass der Netzbetrieb mit den Flexibilitäten umgehen und diese auch nutzen kann. Die bestehende Infrastruktur bestmöglich dazu zu befähigen, mit den neuen Systemplayern interagieren zu können, ist aber alles andere als eine leichte Aufgabe und fügt zum ohnehin schon komplexen neuen Energiesystem eine weitere Komplexitätsebene hinzu. Um hier marktgerechte Lösungen auf Basis der Digitalisierung zu entwickeln, die es ermöglichen, die Komplexität in den Griff zu bekommen, braucht es umfassende Forschungsanstrengungen. So vielfältig die Herausforderungen und Lösungsansätze sind, so groß ist auch die Zahl an partnerschaftlichen Forschungsprojekten, in denen Siemens Österreich in Kooperation mit anderen Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Universitäten zusammenarbeitet.
ECOSINT: Geschickte Integration von Energiegemeinschaften ins Gesamtsystem.
ECOSINT (Energy COmmunity System INTegration)
Local Energy Communities (LECs), speziell in der Ausprägung als Erneuerbare- Energie-Gemeinschaften, haben das Potenzial, die Energiewende zu unterstützen. Eine geschickte Integration von LECs ins Gesamtsystem ist notwendig, damit die LECs einerseits ihre Ziele verfolgen können, andererseits aber einen Beitrag für das Gesamtsystem leisten können, zum Beispiel durch die Reduktion von Last- und Einspeisespitzen sowie die Sicherstellung der Resilienz. Erfolgt die Integration unkoordiniert, besteht die Gefahr, dass LECs das Gesamtsystem negativ beeinflussen und die Resilienz beeinträchtigen.
I4RD: Bereitstellung von Flexibilität von industriellen Anlagen für Redispatch.
I4RD (Industry4Redispatch)
Das primäre Ziel von I4RD ist es, die Bereitstellung von Flexibilität von industriellen Anlagen für Redispatch zu ermöglichen. Redispatch ist eine notwendige Maßnahme für das Engpassmanagement auf der Ebene des Übertragungsnetzes, um den sicheren Betrieb aufrechtzuerhalten. Für die Zukunft wird erwartet, dass auch auf Verteilnetzebene Engpässe durch eine Art von Redispatch gemanagt werden. Im Rahmen des Projekts werden daher alle notwendigen technischen, regulatorischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Voraussetzungen für die Umsetzung der Redispatch-Anforderungen sowie das notwendige Zusammenspiel und die Optimierung/Steuerung zwischen TSO (Übertragungsnetzbetreiber) und DSO (Verteilnetzbetreiber) untersucht. I4RD ist das erste Projekt in Österreich, das alle relevanten Akteure zusammenbringt, um eine integrierte Lösung zu finden. Auf diese Weise will I4RD ungenutzte Flexibilität von Industriekunden für die Bereitstellung von Redispatch unter Einhaltung der Anforderungen der DSOs nutzbar machen.
INNOnet: Test von lastabhängigen Netztarifen zur Bestimmung von aktivierbaren Flexibilitätspotentialen bei Haushaltskunden.
INNOnet (Interaktive Netzoptimierung und Netztarife)
Lastabhängige Netztarife werden als essentieller Beitrag zur Erreichung energiepolitischer Ziele erachtet. Das Projekt antizipiert diese Entwicklung und testet lastabhängige Netztarife zur Bestimmung von aktivierbaren Flexibilitätspotentialen bei Haushaltskunden im Realbetrieb. Hier spielt also auch die aktive Einbeziehung der Kunden eine wesentliche Rolle. Weiters untersucht es Aspekte der praktischen Umsetzung dieser zukünftigen Tarifstrukturen durch Netzbetreiber und unterstützt die Entwicklung einer gemeinsamen Position der österreichischen Netzwirtschaft für eine umsetzbare und effiziente Ausgestaltung zukünftiger Netztarifstrukturen in Österreich.
ProSeCO: Neues Konzept für Energiemanagementsysteme zur Erhöhung des Anteils der erneuerbaren Energien im elektrischen Energiesystem.
ProSeCO (Probabilistic Sector Coupling Optimizer)
In diesem Projekt wird ein neues Konzept für Energiemanagementsysteme (EMS) zur Erhöhung des Anteils der erneuerbaren Energien im elektrischen Energiesystem erforscht und entwickelt. Das EMS basiert auf einem probabilistischen digitalen Zwilling (PDT) und optimiert den Lastfluss zwischen dezentralen Kraftwerken und elektrischen Lasten des Strom- und Wärmesektors. Im Gegensatz zu herkömmlichen digitalen Zwillingen berücksichtigt der PDT Unsicherheiten und Ungenauigkeiten in dynamischen Risikomodellen, die auf der Niederspannungsebene aufgrund fehlender (Mess-)Daten auftreten. Es werden hierbei neue Methoden zur Führung von elektrischen Verteilnetzen basierend auf probabilistischen Methoden untersucht, um etwa durch gezielte Installation von Sensorik diese besser überwachbar zu machen. Ziel ist es, Reserven im Netz für einen Ausbau von erneuerbaren Energien zur Verfügung zu stellen und dabei gleichzeitig die Versorgungssicherheit zu erhöhen. Das Forschungsprojekt soll die Akzeptanz von Energiemanagementlösungen erhöhen und deren Verbreitung und Weiterentwicklung auf europäischer Ebene ermöglichen.
friendlyCharge: Niederspannungsnetze auf die Herausforderungen vorbereiten, die sich aus der Elektrifizierung des Verkehrssektors ergeben.
friendlyCharge (Enabling grid-serving charging through costumer interface in residential areas)
Die Umstellung auf emissionsfreie Mobilität im gesamten Verkehrssektor ist eine der größten Herausforderungen der Energiewende. Da E-Fahrzeuge hauptsächlich zu Hause aufgeladen werden, führt die derzeitige Zunahme an E-Fahrzeugen zu einem verstärkten Ausbau der Ladeinfrastruktur, insbesondere in Wohngebieten. Daher ist es notwendig, das Stromnetz (insbesondere das Niederspannungsnetz) auf die Herausforderungen vorzubereiten, die sich aus der Elektrifizierung des Verkehrssektors ergeben. Derzeit können E-Fahrzeug- Besitzende aufgrund freier Netzkapazitäten in der Regel ohne Einschränkungen mit höheren Ladeleistungen (etwa 11 kW) laden. Durch den stetigen Ausbau der Ladeinfrastruktur aufgrund des Anstiegs der E-Fahrzeuge werden zukünftig der Leistungsbedarf für E-Mobilität und dessen Gleichzeitigkeit steigen. Um daraus resultierende Netzengpässe zu vermeiden, müssen Lösungen entwickelt werden, welche die aktuellen Netzkapazitäten prognostizieren und diese mit den Nutzenden kommunizieren. Die Herausforderung liegt also in der Umsetzung eines netzfreundlichen Ladens auf Basis einer (nahezu) Echtzeit-Ermittlung der Netzkapazitäten sowie der Kommunikation zwischen Endnutzenden und Netzbetreibern.
OpenSwarm: Eine Kommunikationsinfrastruktur für datengesteuerten Systeme aufbauen, die Schwarmverhalten ermöglichen.
OpenSwarm
Die drahtlose Technologie mit geringem Stromverbrauch wird heute in der Regel für einfache Überwachungsanwendungen eingesetzt, bei denen Sensor-Rohdaten in regelmäßigen Abständen zur Analyse an einen Server übermittelt werden. Das Ziel des Projekts ist es, eine Kommunikationsinfrastruktur für diese datengesteuerten Systeme aufzubauen, die Schwarmverhalten beziehungsweise eine direkte Interaktion zwischen Teilnehmenden ermöglicht – durch kollaborative und verteilte intelligente Knoten. Erreicht werden soll das mittels bahnbrechender Forschung und Entwicklung in drei technologischen Bereichen und durch unterschiedliche Use Cases in verschiedenen Domänen: effiziente Vernetzung und Verwaltung von intelligenten Knotenpunkten, kollaborative energiebewusste künstliche Intelligenz sowie energiebewusste „Schwarm-Programmierung“. Der Siemens-Use-Case in diesem Projekt beschäftigt sich mit Energy Communities, genauer, wie etwa das Onboarding neuer Sensoren, gemeinschaftlicher Assets, aber auch weiterer Teilnehmender effizient und einfach durch moderne Kommunikationsinfrastruktur unterstützt werden kann.
Diese Projekte wurden aus Mitteln des Klima- und Energiefonds, des Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) sowie der Europäischen Union gefördert. Mit Ausnahme von OpenSwarm erfolgt die Abwicklung durch die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft (FFG).