Forschungshaushalt
Peter nimmt mit seiner Wohnung am innovativsten Forschungsprojekt Europas für eine urbane Energiezukunft teil.
Siemens
Wenn Peter seine Wohnung verlässt, drückt er den Eco-Taster neben der Eingangstür. Der Schalter deaktiviert das WLAN und trennt die Steckdosen mit Wasserkocher, Fernseher oder Kaffeemaschine vom Netz. Für Geräte mit Zeitschaltung oder Digitaluhr gibt es eigene Steckdosen, die immer mit Strom versorgt bleiben. Mit der Energie-App auf seinem Mobiltelefon kann Peter die Fußbodenheizung bereits einschalten, während er noch in der U-Bahn sitzt. Auch Beleuchtung und Belüftung kann er manuell oder via App bedienen. Für seine 50 Quadratmeter große Single-Wohnung ist voreingestellt, dass er montags Homeoffice macht und donnerstags nach der Arbeit noch ins Fitnessstudio geht. Die Energie-App für Tablet und Smartphone zeigt ihm zu jedem Zeitpunkt Temperatur und Luftqualität im Wohnbereich an sowie den aktuellen Verbrauch für Warmwasser, Heizung und Strom. Für mehr Überblick gibt es Monats- und Jahresstatistiken. Peter kann den Verbrauch jedes einzelnen Geräts einsehen und überlegen, ob sich die Anschaffung eines energiesparenderen Kühlschranks oder einer effizienteren Waschmaschine für ihn lohnt. Die App gibt Energiespartipps, bevormundet ihn aber nicht. Er kontrolliert und optimiert seinen Energieverbrauch ohne viel Aufwand.
Einer von 111 „Smart Usern“ in der Seestadt Aspern
Die vier Pfeiler einer Smart City
Der Smart User ist nur einer von vier Pfeilern der Stadt von morgen. Die drei weiteren bilden die intelligenten Systeme, von denen Peter umgeben ist: Zum Ersten das Smart Building, in dem er wohnt. Zum Zweiten das Smart Grid, das ihn mit Energie versorgt. Und zum Dritten die smarte Informations- und Kommunikationstechnologie (ICT), welche alle Systeme, etwa Wärmepumpen, Solaranlagen und Gebäudeoptimierungssysteme, miteinander, aber auch mit Peter, kommunizieren lässt.
Auch wenn uns Smart User Peter nun namentlich bekannt ist, bleibt er für das Forschungsprojekt anonym: Mittels Smart Meter und Smart App stellt er Daten zu Raumkomfort und Energieverbrauch zur Verfügung. Peter wohnt bereits in einem Smart Building, das Wärme und Strom erzeugen und speichern kann. Durch optimierte und automatisierte Steuer- und Regelungsmechanismen sollen smarte Gebäude Angebot und Nachfrage bei Wärme und Strom sinnvoll abfedern und austarieren. Die Kapazitäten zur Speicherung und zeitverzögerten Bereitstellung bringen Flexibilität, die auf Energiemärkten oder zur Stabilisierung des Smart Grid genutzt werden können.
Wie weit man mit Energieeffizienz kommen kann und welche Lösungen zielführend sind, wird im Wiener Stadterweiterungsgebiet Aspern seit 2013 konkret entwickelt und getestet. Der Ausbau der Infrastruktur in wachsenden Städten und eine Aufrüstung von Stromnetz und Gebäuden wollen wohlüberlegt sein. Schließlich sollen bis 2028 ganze 240 Hektar eines ehemaligen Flugfelds erschlossen werden und 20.000 Menschen Lebens- und Arbeitsraum bieten. Begleitend zur Errichtung des neuen Stadtquartiers wurde 2013 die Forschungsgesellschaft „Aspern Smart City Research“ (ASCR) aufgesetzt. Ende 2018 wurde die erste Phase der erfolgreichen Zusammenarbeit abgeschlossen und die Verlängerung und Budgetierung der gemeinsamen Anstrengungen von 2019 bis 2023 beschlossen. Neben Siemens als Technologiepartner sind die Wirtschaftsagentur Wien, der Netzbetreiber Wiener Netze, der Stromanbieter Wien Energie und die Entwicklungsgesellschaft des Stadtviertels, Wien 3420 Aspern Development AG, an Bord.
Datenmeer in der Seestadt
In Phase eins wurden ein wärmeautarkes Wohnhaus mit 213 Einheiten, in dem auch Peter wohnt, ein ebenfalls wärmeautarker Bildungscampus mit Kindergarten und Volksschule und ein Studentenheim mit 300 Plätzen vernetzt und beforscht. Peters Datenstrom fließt mit den Daten anderer Smart User sowie unzähliger Sensoren in den Gebäuden, den technischen Systemen, der umgebenden Umwelt und dem umgebenden Stromnetz zu einem Datenmeer zusammen, das von Aspern Smart City Research ausgewertet wird. Auch der smarte User will in erster Linie angenehm leben. Je nach Motivation und Möglichkeit kann er dabei auch noch Energie und Kosten sparen. Das gemeinsame Ziel von ASCR ist wiederum, die Erzeugung, Verteilung, Speicherung und den Verbrauch von Energie für einen ganzen Stadtteil zu optimieren.
In den Smart Buildings wurden Heizung, Kühlung, Lüftung, Beleuchtung, Zugangs- und Sicherheitssysteme, Wärmepumpen, Solarthermie, Photovoltaik-Anlagen, Batterien und E-Mobilität gemeinsam in den Blick genommen. Vorstellen darf man sich die Daten-Zentrale also wie eine UNO-Generalversammlung ohne Dolmetsch. Ziel von Siemens war es, die Sprache der Gebäude, die Sprache des Netzes, die Verbrauchsmuster der Bewohnerinnen und Bewohner und die technischen Standards nicht vereinheitlichen zu müssen, sondern prototypisch Übersetzer zu entwickeln. Universal einsetzbare Lösungen sollten zur internationalen Marktzulassung vorbereitet werden, was auch gelang.
In Phase zwei der ASCR-Kooperation wird die Auswertung um ein Bürogebäude erweitert, das einen sogenannten digitalen Zwilling besitzt, also eine maschinenlesbare, digitale Gebäudedatenablage für räumliche, zeitliche und technische Informationen von Planung bis Betrieb. Die Forschung bis 2023 zielt darauf ab, die Betriebskosten für Gebäude und Netzinfrastruktur weiter zu minimieren, etwa durch vorausschauende Wartung. Die Gebäudedaten aus dem digitalen Zwilling sollen zu einer Drehscheibe werden, die Daten, Nutzer und spezifische Anwendungen miteinander verbindet. Darauf entwickelte Lösungen sollen sich möglichst selbst konfigurieren und leicht zu bedienen sein. Auch das wichtiger werdende Thema Kühlung in Gebäuden soll bearbeitet werden. Das
ASCR-Team will steigende E-Mobilität und ihre Ladeinfrastruktur gut in das Verteilernetz integrieren und an neue, datenbasierte Energiemarktmodelle anknüpfen. Wenn Batterien gesteuert geladen und entladen werden, könnten diese Potenziale für den Stromhandel genutzt und Geld gespart bzw. erwirtschaftet werden.
Smart User Peter wird weiter angenehm wohnen und bequem unnötigen Stand-by-Modus vermeiden. Bei einem ECar-Sharing-Modell wäre er in Zukunft gerne dabei. Es gibt nämlich eine E-Tankstelle im Haus und die gut genutzte Abwärme aus der Garage trägt ihren Teil zur Wärmebilanz seines Wohnhauses bei. Bei der letzten Mieterversammlung wurde zudem gefragt, ob sich einige Bewohnerinnen und Bewohner zusammenschließen wollen, um auf dem Dach mehr Strom zu produzieren. Vielleicht findet Peter auch Spaß daran, überschüssigen Strom aus der gemeinsam betriebenen PV-Anlage zum besten Preis ins Netz einzuspeisen.