Symbolische Visualisierung Künstliche Intelligenz mit einem Strom aus Nullen und Einsern vor dem Hintergrund einer Industrieanlage © Siemens
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Hybride KI optimiert industrielle Systeme

Die Verbindung von datengetriebener und logikbasierter KI bringt neue Möglichkeiten für Energieeffizienz in Industrie und Infrastruktur.

Forschung & Entwicklung

09.01.2025

Lesezeit 11 Min

Christian Lettner

Maschinenparks in der Fertigungsindustrie sind große Energieverbraucher. Der Energieverbrauch dieser Maschinen wird derzeit kaum optimiert, weil er von sehr vielen Faktoren abhängt. Künstliche Intelligenz kann dabei helfen, Modelle zu entwickeln, die die Einstellung der Parameter von Maschinen automatisch so vornehmen, dass möglichst wenig Energie verbraucht wird.

Für den Anwendungsfall der Metallverarbeitung arbeiten die Alpen-Adria- Universität Klagenfurt, die voestalpine High Performance Metals DIGITAL SOLUTIONS GmbH, Siemens und die belgische KU Leuven im von der FFG geförderten Forschungsprojekt SAELING zusammen, um den Energieverbrauch in der metallverarbeitenden Industrie zu senken. Der Projektname SAELING steht für „SAving Energy by Learning and ImproviNG logic-based optimization models“. Es geht also darum, mithilfe von Methoden des Maschinellen Lernens Vorhersagemodelle und energie- und ressourcenschonende Strategien für Maschinen zu entwickeln. Diese Modelle sind der Kern des Forschungsprojekts und adressieren das erwähnte Problem, dass die Energieoptimierung von Maschinen von sehr vielen Kriterien abhängt und viele verschiedene Ziele gleichzeitig berücksichtigen muss. Die Methoden des Maschinellen Lernens sind also ein Baustein, um ein sogenanntes multikriterielles Optimierungsproblem zu lösen.

Die voestalpine High Performance Metals DIGITAL SOLUTIONS GmbH ist ein Unternehmen der Division High Performance Metals im voestalpine-Konzern, das Digitalisierungs- und Innovationsprojekte für die Division umsetzt. Die Division ist Weltmarktführer für Werkzeugstahl und andere Spezialstähle. Sie konzentriert sich auf technologisch anspruchsvolle Hochleistungswerkstoffe, die an acht Produktionsstandorten in Europa, Nord- und Südamerika hergestellt und über ein Vertriebs- und Servicenetzwerk mit 130 Standorten in 40 Ländern vertrieben werden. In den weltweiten Value-added-Services-Bereichen dieser voestalpine-Division ist der Sägeprozess einer der Kernprozesse im Fertigungsumfeld.

© voestalpine

Mit Methoden und Algorithmen für optimierte Entscheidung soll in der voestalpine-Anwendung die Energieeffizienz um bis zu 30 % gesteigert werden.

Der Sägeprozess erfolgt durch Bandsägen. Ihr Energieverbrauch steht im Fokus des Forschungsprojekts. Mit den Bandsägen werden große Stahlstücke je nach Kundenwunsch in kleinere Stücke geschnitten. In weiterer Folge soll sich die Energieoptimierung auf weitere Maschinen für die Metallbearbeitung zum Schleifen und Fräsen erstrecken. Eine typische Bandsägemaschine verbraucht rund 8,4 MWh pro Jahr. In der Division High Performance Metals gibt es mehr als 2.000 Bandsäge-, Schleif- und Fräsmaschinen, die in Summe mehr als 21 GWh pro Jahr verbrauchen. Das entspricht etwa dem jährlichen Energieverbrauch von 4.750 österreichischen Durchschnittshaushalten.

Energieverbrauch von Bandsägen im Fokus

Metallverarbeitungsmaschinen bearbeiten einen Strom von Aufgaben. Ein Arbeitsplatz mit Bandsägen besteht beispielsweise aus einer Reihe von Maschinen, an denen ein Auftrag verschiedenen Bandsägen zugewiesen werden kann. Der Energieverbrauch einer Aufgabe hängt von den Eigenschaften einer Maschine ab, zum Beispiel von der Verschleißsituation, aber auch vom Material, etwa dessen Form, Volumen und Qualität. Darüber hinaus wird der Energieverbrauch bei der Bearbeitung einer Aufgabe von steuerbaren Parametern wie der Geschwindigkeit der Bandsäge und dem Materialvorschub festgelegt.

„Unter der Voraussetzung, dass ein hinreichend genaues physikalisches Modell der Maschine vorliegt, wäre die Minimierung des Energieverbrauchs ein multikriterielles Optimierungsproblem, bei dem die Aufgaben den Maschinen zugewiesen werden, die Reihenfolge der Aufgaben auf den Maschinen festgelegt wird und die Parameter der Maschinen so eingestellt werden, dass sich ein so klein wie möglicher Energieverbrauch ergibt“, erklärt Projektleiter Richard Comploi-Taupe von der Forschungsabteilung von Siemens Österreich. „Da der Mensch jedoch nicht in der Lage ist, mit vertretbarem Aufwand hinreichend genaue physikalische Modelle zu spezifizieren, wollen wir in unserem Forschungsprojekt Methoden des maschinellen Lernens generieren und mit symbolischen Optimierungsverfahren kombinieren, um Scheduling-Probleme wie in unserem Anwendungsfall der Metallindustrie zu lösen. Scheduling heißt die Entscheidung, welche Produktionsschritte wann auf welcher Maschine durchgeführt werden“, fährt Comploi-Taupe weiter fort.

Wir wollen im Forschungsprojekt SAELING Methoden des maschinellen Lernens generieren und mit symbolischen Optimierungsverfahren kombinieren, um Scheduling-Probleme wie in unserem Anwendungsfall der Metallindustrie zu lösen.

Projektleiter Richard Comploi-Taupe, Forschungsabteilung Siemens Österreich

© Siemens

Die angesprochene Kombination von symbolischer bzw. logikbasierter auf der einen und datengetriebener KI (zum Beispiel Machine Learning) auf der anderen Seite ist ein aktuelles Thema in der KI-Spitzenforschung und zugleich der Bereich der Expertise, den Siemens in dieses Projekt einbringen wird. Die Forschungsgruppe „Configuration Technologies“ von Siemens Österreich, die innerhalb des globalen Technologiefeldes „Data Analytics and Artificial Intelligence“ tätig ist, verfügt über mehr als 30 Jahre Erfahrung in der Anwendung von Constraint-Technologien auf industrielle Anwendungsfälle. In den letzten Jahren wurde diese Expertise auf andere Bereiche der symbolischen KI (etwa Answer Set Programming und Empfehlungstechnologien), auf datengetriebene KI (Datenanalyse, maschinelles Lernen) sowie auf Semantik und Wissensgraphen (Graphdatenbanken, Ontologien, Streamreasoning) ausgeweitet.

Verbindung von KI-Welten zu hybrider KI

„Durch das Zusammenspiel von symbolischer und datengetriebener oder subsymbolischer KI wird das Anwendungspotenzial dieser Kombination voraussichtlich jedes der beiden Gebiete alleine betrachtet bei weitem übertreffen. Wir erwarten, dass diese hybride KI mit symbolischen wie auch subsymbolischen Ansätzen bei der Lösung von Problemen, wie sie auch im Projekt SAELING untersucht werden, nützlich sein wird. Durch die Vereinigung der beiden KI-Welten werden neue Möglichkeiten wie die Ableitung logisch korrekter Schlussfolgerungen in unsicheren Umgebungen oder die Verbesserung der Leistung von logikbasierten Methoden durch Lernen aus Daten möglich“, so Herwig Schreiner, der Leiter der Forschungsgruppe Configuration Technologies.

Durch die Vereinigung der beiden KI-Welten werden neue Möglichkeiten wie die Ableitung logisch korrekter Schlussfolgerungen in unsicheren Umgebungen oder die Verbesserung der Leistung von logikbasierten Methoden durch Lernen aus Daten möglich.

Herwig Schreiner, Leiter der Forschungsgruppe Configuration Technologies, Siemens Österreich

© Siemens

„Das Forschungsprojekt SAELING wird also Methoden und Algorithmen für optimierte Entscheidungsfindung entwickeln. Die Herausforderung der multikriteriellen Optimierung liegt in der Unsicherheit der Vorhersagen von maschinell gelernten Modellen. Daher wird SAELING robuste und erklärbare Methoden durch Verbindung von unterschiedlichen KI-Techniken erforschen“, sagt Comploi-Taupe.

Das Ergebnis des Forschungsprojekts wird ein Proof-of-Concept-System sein, das die Problemlösung für den voestalpine-Anwendungsfall zeigt. SAELING hat zum Ziel, die Energieeffizienz um 20 bis 30 Prozent zu steigern und so 4 bis 6 GWh jährliche Energieeinsparung zu erzielen. Gesenkt werden damit auch der CO2-Ausstoß und die Total Cost of Ownership insgesamt.

Die Forschungsgruppe „Configuration Technologies“ von Siemens Österreich bringt ihre hybride und neurosymbolische KI-Forschung auch in das Projekt MATISSE (Model-based engineering of Digital Twins for early verification and validation of Industrial Systems) ein. Dieses Projekt wird von der FFG und der EU gefördert, es hat aber als EU-Projekt mit 29 Partnern aus sieben Ländern einen größeren Rahmen.

Im Projekt MATISSE wird ein auf KI und digitalen Zwillingen basierendes System für die kontinuierliche Validierung, Rekonfiguration und Umgestaltung von physischen Systemen entwickelt. Die Anwendungsfälle betreffen die Herstellung von Zügen und Bussen genauso wie die Wartung von Brücken und von Satelliten in der Umlaufbahn.

Use Case Microgrid

Der Siemens-Use-Case bezieht sich auf das intelligente Kleinststromnetz am Campus der Siemens City in Wien (hi!tech hat schon mehrfach darüber berichtet), bestehend aus einer PV-Anlage, einem Stromspeicher, Ladepunkten für Elektroautos, einem Lastmanagement und einer Schnittstelle zum Gebäudemanagementsystem. „Im Siemens-Anwendungsfall besteht die Vision darin, ein System zu haben, das kontinuierlich sicherstellt, dass die in einem Microgrid angewandten Regeln für den aktuellen Kontext optimal sind“, so Projektleiter Danilo Valerio von der Forschungsabteilung von Siemens Österreich. Als Testumgebung werden die E-Mobilitäts-Ladestationen des Microgrids auf dem Siemens-Campus in Wien genutzt.

© Siemens

Die Ladestationen am Campus der Siemens City in Wien sind die Testumgebung für die Entwicklung eines Systems, das den Betrieb von Microgrids optimiert.

Ein Microgrid ist ein System miteinander verbundener elektrischer Anlagen mit definierten Grenzen, das als eine einzige steuerbare Einheit agiert. Die elektrischen Komponenten interagieren miteinander und können zu jedem Zeitpunkt Energie erzeugen, verbrauchen oder speichern. Die Art und Weise, wie die Energie innerhalb des Systems fließt, hängt von einer Reihe von statischen Regeln ab, die in der Errichtungsphase festgelegt werden. Diese Regeln erlauben es aber nicht, das volle Potenzial der Anlagen auszuschöpfen. Darüber hinaus können die Änderung der Regeln und die Verfolgung der Änderungen ein langwieriger Prozess sein, der in einigen Fällen gar nicht möglich ist.

„Das Ziel ist es, eine Lösung zu entwickeln, die per Plug and Play funktioniert, ohne dass alle betrieblichen Details des Microgrids im Voraus festgelegt werden müssen. Um ein solch ehrgeiziges Ziel zu erreichen, muss die Lösung in der Lage sein, die Wissensbasis kontinuierlich zu vervollständigen. Wir planen, dies mit neurosymbolischen KI-Ansätzen und induktiver Logikprogrammierung zu tun“, erklärt Valerio weiter.

Im Siemens-Anwendungsfall im Projekt MATISSE besteht die Vision darin, ein System zu haben, das kontinuierlich sicherstellt, dass die in einem Microgrid angewandten Regeln für den aktuellen Kontext optimal sind.

Projektleiter Danilo Valerio, Forschungsabteilung Siemens Österreich

© Siemens

Ein weiterer Schwerpunkt des Beitrags der Forschungsgruppe ist die Rekonfiguration des Systems mithilfe eines digitalen Zwillings auf der Grundlage der Mehrzieloptimierung. Dabei ist es von grundlegender Bedeutung, Optimierung und prädiktive Analytik zu kombinieren, wobei zu berücksichtigen ist, dass eine Lösung für den Energiebedarf, das Wetter und den für die nahe Zukunft vorhergesagten Energieerzeugungsmix optimal sein muss. Zu diesem Zweck kommen hybride KI-Ansätze zum Einsatz, die die Optimierungsfunktion in das maschinelle Lerntraining integrieren.

Über den Autor

Christian Lettner
Chefredakteur hi!tech
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