Außenansicht des EVN-Kraftwerks Theiß © Siemens
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Maßgeschneidertes Retrofit

Passgenauer Austausch des Generatorleistungsschalters für das EVN-Kraftwerk Theiß mit einem SF6-freien Net-Zero-Produkt von Siemens.

Nachhaltigkeit

09.01.2025

Lesezeit 5 Min

Siemens

Das in der namensgebenden niederösterreichischen Katastralgemeinde gelegene Kraftwerk Theiß ist ein kalorisches Kraftwerk. Mit einer Nennleistung von 800 Megawatt (MW) ist die in den frühen 1970ern errichtete und seitdem mehrmals modernisierte Anlage das leistungsstärkste und zugleich größte Kraftwerk der EVN AG. Für den national wie international tätigen, börsennotierten Strom-, Gas- und Energieversorger, der sich mehrheitlich im Besitz des Landes Niederösterreich befindet, übernimmt das primär mit Erdgas betriebene Wärmekraftwerk mehrere Aufgaben: Einerseits wird über den Kombiblock B die übergreifende Stromnetzstützung betrieben, d.h. das Kraftwerk ist für die Versorgungssicherheit im Falle von Engpässen bei Wasser- und Windkraftanlagen verantwortlich. Andererseits wird über die Fernwärmeerzeugungsanlagen und Europas größten Fernwärmespeicher zur Wärmeversorgung der Stadt Krems und der Gemeinde Gebersdorf beigetragen. Abschließend stellt das Kraftwerk auch Reservekapazität als Folge des Atomausstiegs Deutschlands für das deutsche Stromnetz bereit.

© Siemens

Der Leistungsschalter wurde für die Aufstellung adaptiert und auf Stahlträgern montiert.

Wurde das Kraftwerk zuletzt 2020 mit einer aus Norwegen erworbenen und anschließend generalsanierten 240-MW-Gasturbine hochgerüstet, entschloss man sich 2024 zum Tausch der Druckluftschaltanlage. „Die bestehende Generatorschaltanlage der Dampfturbine war in die Jahre gekommen und hatte ihr Lebensende erreicht“, bestätigt Gerhard Lemp, Leitung Mess- und Regeltechnik bei EVN Wärmekraftwerke, und fügt hinzu: „Ein Weiterbetrieb hätte sich aufgrund deutlich steigender Wartungskosten, damit verbunden eine abnehmende Verfügbarkeit und Versorgungssicherheit sowie eine zusehends problematische Beschaffung von Ersatzteilen – die Anlage stammt aus dem Jahr 1977 – nicht rentiert.“ Mittels Ausschreibung wurde nach einer wartungsfreien, umweltfreundlichen und energieeffizienten Lösung gesucht, die zudem den beengten Platz- und Aufstellverhältnissen im Kraftwerk gerecht werden könnte.

Vakuumröhren statt SF6

Der Zuschlag für das ausgeschriebene Turnkey-Projekt zu Austausch, Lieferung, Installation und Inbetriebnahme einer neuen Generatorschaltanlage erging schlussendlich an Siemens. „Im Vergleich zu herkömmlichen Modellen basiert der Siemens-HB3-Generatorleistungsschalter nicht auf dem im Falle eines Austritts äußerst klimaschädlichen Schaltgas SF6. Stattdessen wird hier mit Vakuumröhren gearbeitet“, erklärt Thomas Idinger, Sales Specialist Electrification & Automation bei Siemens, und weiter: „Vakuumschalter sind über die gesamte Lebensdauer von 20.000 Schaltspielen zudem nahezu wartungsfrei, weil der für SF6-Anlagen charakteristische, relativ hohe Kontaktabbrand wegfällt.“ Neben Umweltfreundlichkeit, Effizienz und de facto Wartungsfreiheit spielten die Dimensionen des HB3-Generatorleistungsschalters ebenfalls eine wesentliche Rolle bei der Auftragsvergabe. „Aufgrund seiner kompakten Dimensionierung eignet sich der HB3-Schalter ideal für Retrofits, wo es in der Regel zwei zusätzliche Herausforderungen gibt: einerseits die Einbringung, die ohne große bauliche Veränderungen an den bestehenden Strukturen vollzogen werden soll, und andererseits die Aufstellung auf einer meist limitierten Fläche, die ebenfalls von den Bestandsstrukturen vorgegeben wird“, so Idinger.

Im Kraftwerk Theiß konnte der einphasig gekapselte Generatorschalter mittels Teleskopkran – mit wenig Spielraum und demnach äußerster Präzision an Prozessrohrleitungen und bestehenden Gebäudestrukturen vorbei – an seinen Bestimmungsort gehoben werden. Um genau an den bestehenden Kanal angeschweißt werden zu können, waren im Vorfeld weitere Adaptionen am HB3- Schalter erforderlich: Dazu zählten die Montage auf den darunterliegenden I-Trägern ohne die sonst standardmäßigen Füße der Schaltpole sowie die räumliche Trennung des üblicherweise direkt angebauten Steuerschranks. „Mit der maßgeschneiderten Anpassung unseres von Haus aus bereits sehr kompakten Generatorschalters ist es uns gelungen, die jeweils 1,44 Tonnen schweren Schaltpole der HB3, ohne nennenswerte Anpassung der umliegenden Strukturen und binnen kürzester Zeit, in das Kraftwerk einzubringen, aufzustellen und einzubinden“, erzählt Thomas Idinger, der bereits wenige Wochen später gemeinsam mit Gerhard Lemp eine reibungslose Inbetriebnahme vermelden konnte.

„Mit dem Abschluss der Turnkey-Installation verfügt das Kraftwerk Theiß über einen hochmodernen Generatorschalter, der sich durch eine hohe Abschaltleistung und schnelle Schaltzeiten auszeichnet. Damit werden die dahinterliegenden Anlagen optimal geschützt und so die Versorgungssicherheit sichergestellt“, fasst Gerhard Lemp den erfolgreichen Projektausgang zusammen. Ebenso wie die signifikanten Steigerungen bei Effizienz und Verfügbarkeit sind für Lemp auch die Nachhaltigkeitsaspekte von großer Bedeutung: „Mit der bewussten Entscheidung, auf eine mit dem Schaltgas SF6 betriebene Schaltanlage zu verzichten, setzen wir als EVN auch bei unseren Wärmekraftwerken in puncto Klimaschutz ein deutliches Zeichen. Unser Bekenntnis zu Nachhaltigkeit manifestiert sich zudem direkt in unserer neuen Generatorschaltanlage: Die HB3 ist ein Net-Zero- Produkt, d.h. sie wurde CO2-neutral gefertigt. Unsere Lösung ist somit ein glänzendes Beispiel dafür, dass sich hohe Verfügbarkeit, Effizienz und Nachhaltigkeit nicht gegenseitig ausschließen.“