Green globe on moss in a green forest. Icons scattered around green globe. © Getty Images

Siemens

02.07.2025

Lesezeit 13 Min

Nachhaltigkeit

Siemens

02.07.2025

Lesezeit 13 Min

Verantwortung leben mit unterschiedlichen Hebeln

Bewusster Konsum gibt Einzelnen angesichts der Umweltkrisen unserer Zeit eine gewisse Macht in die Hand. Den größeren Hebel, um Ressourcen zu schonen, Energie zu sparen und Emissionen zu reduzieren, haben aber Unternehmen.

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Verantwortung leben mit unterschiedlichen Hebeln

Wir kaufen Dinge, die wir zum Überleben brauchen. Andere Dinge, um unseren Status zu untermauern. Vieles haben wir in mehrfacher Ausführung und immer wieder gerne etwas Neues. Nicht jede Hose wird erst ersetzt, wenn sie nicht mehr zu flicken ist. Aber immer mehr Menschen wollen in der Wegwerfgesellschaft mit ihren Kaufentscheidungen die Welt retten oder zumindest nicht weiter schädigen.

Sie versuchen, sparsam zu konsumieren. Sie schaffen hochwertige, energieeffiziente und reparierbare Güter mit langer Lebensdauer an oder nutzen sie gemeinsam. Ein nachhaltiger Lebensstil ist als persönlicher Beitrag keinesfalls geringzuschätzen. Ebenso klar ist aber, dass die Verantwortung nicht allein auf den Schultern motivierter Individuen lasten darf. Unternehmen sind gefordert, Produkte anzubieten, die umweltfreundlich, ungiftig, sozial gerecht hergestellt und leistbar sind. Die Industrie hat den längeren Hebel, um CO2-Emissionen, Energie und Ressourcen einzusparen. Beinahe 75 Prozent der Europäerinnen und Europäer erwarten sich, dass Unternehmen in Nachhaltigkeit investieren. Ebenso viele fordern strengere staatliche Regeln für den Umweltschutz.

Nachhaltigkeit entwickelt sich von der Nische zum Mainstream. Im deutschsprachigen Raum ist dieser Faktor ein starkes Kaufmotiv und gefragtes Produktmerkmal geworden, wie verschiedene Umfragen zeigen. 57 Prozent der Österreicher und Österreicherinnen schätzen ihr eigenes Konsumverhalten als nachhaltig ein – der höchste Wert in einer 14-Länder-Studie. In Deutschland stimmt dem mehr als ein Drittel zu. In Europa gehören der Zustand des Planeten sowie von Umwelt und Klima inzwischen mit 40 Prozent Zustimmung zu den größten Sorgen der Menschen. Die Hälfte der Befragten hierzulande ist bereit, für regionale oder Biolebensmittel mehr zu zahlen – trotz Inflation. Wenn es um größere Anschaffungen geht, würden beinahe drei Viertel einen Aufpreis zahlen – 67 Prozent sagen das auch über Alltagsprodukte. Zwischen den treuherzigen Bekundungen in Umfragen und dem Wocheneinkauf gibt es mit großer Wahrscheinlichkeit Unterschiede, aber ein Stimmungstest sind die Ergebnisse allemal.

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Nachhaltige Konsummuster vor allem jüngerer Menschen: pflanzliche Ernährung, Secondhand und Sharing.

Wie nachhaltiger Konsum gelebt wird, unterscheidet sich von Generation zu Generation, nach Wohnort und auch unter den Geschlechtern. In vielen Fällen sind jüngere Menschen Treiber neuer nachhaltiger Konsummuster (Secondhand, Sharing, pflanzliche Ernährung), während ältere Generationen durch konsequente Alltagsroutinen (Müllvermeidung, Energie sparen) punkten. Frauen sind geringfügig häufiger nachhaltigkeitsorientiert als Männer. Wer in der Stadt wohnt, zeigt mehr nachhaltiges Kaufverhalten – sicherlich auch, weil Angebot und Infrastruktur dafür ausgebaut sind, zum Beispiel Unverpackt-Läden oder öffentliche Verkehrsmittel. Laut einer Deloitte-Studie sorgen sich 80 Prozent der Deutschen um den Klimawandel und Umweltschutz – auch die eigene Gesundheit und ethische Gründe motivieren dazu.

Zuständig für strukturelle Veränderungen sind aber vor allem Industrie und Politik. In Umfragen schreiben die Deutschen der Regierung und großen Unternehmen die größte Verantwortung für nachhaltiges Handeln zu. Ähnlich in Österreich, wo Produzenten und Lieferanten am stärksten in der Pflicht gesehen werden, nachhaltiger zu agieren. Ein gutes Drittel der Bevölkerung unterstreicht in Befragungen, dass Anstrengungen von Einzelnen „sowieso nichts bewirken“, wenn die großen Akteure nicht mitziehen. Unternehmen entscheiden über Produktdesign, Materialeinsatz, Herstellung und Lieferketten – all das bestimmt die Umweltauswirkungen von Gütern, noch bevor wir sie im Geschäft auswählen können. Wer also nachhaltig konsumieren möchte, braucht auch Vertrauen in die Lieferkette von Herstellern – sie ist der unsichtbare Teil der Kaufentscheidung. In Wien wurde das Forschungsinstitut ASCII gegründet, um diese Beziehungsnetzwerke zu erforschen. Bis wir einen guten Einblick und vertrauenswürdige Kennzeichnungen bekommen, wird es aber noch dauern (siehe Interview ganz unten).

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Rund um die Welt spannen sich Lieferkettennetzwerke vieler europäischer Unternehmen. Um sie zu verbessern, muss man sie erst einmal genau kennen.

Lieferketten bestimmen, wie, wo und unter welchen Bedingungen Produkte hergestellt werden – also ob fair, umweltfreundlich und transparent vorgegangen wird. Auf der Verpackung wird oft nur der letzte Verarbeitungsschritt oder die Produktionsstätte deklariert. Augenfällig ist das im Lebensmittelbereich. Wo kommt das Schwein für den Speck her, der in Tirol geräuchert wurde? Wurden die Eier im abgepackten Striezel von Hühnern in Freilandhaltung gelegt? Ganz sicher können wir nur sein, wenn wir wenig verarbeitete Lebensmittel oder direkt beim Erzeuger einkaufen. Beim Unboxing eines iPhone erfahren wir, dass es in California designt wurde. Aber wo wurden die Seltenen Erden geschürft? Wo und unter welchen Bedingungen wurde es zusammengebaut?

Die Lieferkette verfolgen und dokumentieren zu können bedeutet, diese Fragen für die eigenen Produkte vom Rohstoff bis zum Regal beantworten zu können. Die EU hat das Thema zuletzt auf die politische Agenda gesetzt mit Klimazielen und Berichtspflichten. Als b2b-Anbieter unterstützt Siemens mit 177-jähriger Ingenieursgeschichte Unternehmen dabei, Vorgaben einzuhalten und ihre ESG-Ziele zu erreichen. Das sind konkrete Vorgaben, die Unternehmen definieren, um ihre Nachhaltigkeitsleistungen (Dimensionen Umwelt, Soziales und Governance) zu verbessern.

Siemens-Produkte machen einen Unterschied

Der Nachhaltigkeitsbericht von Siemens dokumentiert die eigenen Bemühungen, liefert aber auch Berechnungen, welchen Unterschied Siemens-Produkte bei den Kunden machen. 2024 ist es erstmals gelungen, in den Geschäftsfeldern mehr Emissionen zu vermeiden, als entlang der eigenen Wertschöpfungskette entstanden sind. 144 Millionen Tonnen Kohlendioxid wurden über die drei Hebel Energieeffizienz, Elektrifizierung und Ausbau erneuerbarer Energien im Vergleich zu Referenzlösungen eingespart. Siemens Mobility ermöglichte allein durch die 2024 ausgelieferten Elektrolokomotiven über die Lebensdauer eine Einsparung von rund 18,5 Megatonnen CO2. Das „revolutionäre Potenzial von Technologie“ für den Klimaschutz steckt auch in unscheinbaren Dingen wie Frequenzumrichtern, Gebäudemanagement-systemen, Elektrifizierungs- und Automatisierungsangeboten.

Ein unscheinbares Produkt von Siemens könnte tatsächlich bald in vielen Wohnungen montiert werden. Es bewahrt uns vor Unheil und steht hier prototypisch für den Entwicklungsaufwand einer Lösung, die mit dem EcoTech-Label gekennzeichnet wurde. Wenn der Fehlerstrom- Schutzschalter fällt, bewahrt er uns vor einem Stromschlag, macht auf Leitungsfehler aufmerksam und mindert die Brandgefahr. Für eine neue Generation von FI-Schutzschaltern haben sich DOMO Chemicals und Siemens als Anbieter von Polyamid-Lösungen zusammengetan. Beim SENTRON 5SV3 wird ein Werkstoff in Abdeckungen und Gehäuse verbaut, der zu 50 Prozent aus recycelten Bestandteilen besteht. Verwendet wird chemisch recyceltes Material, was schonender in der Herstellung ist. Das PA6- Polyamid setzt auf ein phosphor- und halogenfreies Flammschutzsystem, ist leicht zu verarbeiten, hat gute elektrische Eigenschaften und kann beliebig eingefärbt werden.

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DOMO Chemicals hat das Polyamid intensiv getestet. Es überzeugte mit gleicher Leistung und Langlebigkeit – im Vergleich zu herkömmlichen Materialien – und erfüllt die strengen Anforderungen für ein Sicherheitsprodukt. Das bereits erwähnte EcoTech-Label steht für ein Produkt, das die Transformation von Industrie und Infrastruktur durch Klimaschutz und Dematerialisierung fördert. Es soll den Kunden Transparenz über Materialien, Design und die Nutzungsphase bis zum Ende des Lebenszyklus bieten. Erfasst werden neben Hardware künftig auch Software und Services.

Der Einsatz von Technologie „made by Siemens“ unterstützt Unternehmen beim kohlenstoffarmen Betrieb und in der Energieinfrastruktur. Viele Emissionen entstehen aber nicht in der Fertigung, sondern in der vor- und nachgelagerten Lieferkette. Den eigentlichen Product Carbon Footprint (PCF) zu erfassen, ist aufwendig. Entweder müssen vertrauenswürdige Daten über die Emissionen von Partnerunternehmen selbst gesammelt werden. Oder eigene Daten außer Haus gegeben werden, um sie kalkulieren zu lassen.

PCF-Tracking-Tool SiGREEN

Siemens hat zur effizienten Abfrage, Berechnung und Weitergabe von Informationen über den PCF eine eigene Softwarelösung entwickelt. Bei SiGREEN werden die realen Daten nicht zentral gespeichert, sondern entlang der Kunden-Lieferanten- Beziehungen mittels Blockchain- Technologie direkt ausgetauscht, verifiziert und aggregiert. Alle Industrieunternehmen eint der Wunsch, den CO2-Fußabdruck ihrer Produkte zu verringern. Dazu müssen sie den CO2-Ausstoß ihrer Lieferkette zuerst genau kennen und wissen, mit welchen Anpassungen sie am meisten CO2 einsparen können. SiGREEN bringt die dringend benötigte Transparenz in die Lieferketten und schützt gleichzeitig die Vertraulichkeit der Daten. In einem Pilotprojekt wird das Tracking-Tool SiGREEN gerade in einem Zusammenschluss von 47 internationalen Unternehmen der Chemiebranche erprobt. Die Mitglieder der Initiative „Together for Sustainability“ setzen sich für die Dekarbonisierung ihrer Lieferketten ein und haben 2022 die Berechnungsansätze harmonisiert.

Der Ressourcenverbrauch bei der Fertigung von Produkten unseres Alltags darf uns als Konsumentinnen und Konsumenten interessieren. Es ist aber noch schwierig zu durchschauen, wie Erzeugnisse entlang der Lieferkette bis zu den Rohstoffquellen abschneiden, ob Menschenrechte und Arbeitsrecht weltweit eingehalten und Umweltauswir- Das Potenzial von Technologie für den Klimaschutz steckt auch in Gebäudemanagement, Elektrifizierung und Automatisierung. kungen bestmöglich vermindert werden. Der straffe Kurs der Europäischen Union erfährt gerade strammen Gegenwind. Komplexitäts-forscher Peter Klimek, der sich mit Lieferkettennetzwerken beschäftigt, ist überzeugt, dass an der Umsetzung kein Weg vorbeiführen wird: „Die Transformation wird stattfinden, weil der Druck nicht etwa nur aus der EU, sondern auch aus anderen Volkswirtschaften – wie etwa China – kommt.“

Portraitfoto von Peter Klimek, Leiter des Supply Chain Intelligence Institute Austria (ASCII) © ASCII

“Nur 6 Prozent der Unternehmen kennen ihre ganze Lieferkette.“

Peter Klimek, Leiter des Supply Chain Intelligence Institute Austria (ASCII)

Komplexitätsforscher Peter Klimek, Leiter des Supply Chain Intelligence Institute Austria, im Interview über eng verflochtene Netzwerke, schwarze Schafe und warum wir es würdigen sollten, wenn Unternehmen Probleme in der Lieferkette identifizieren.

Warum arbeiten Komplexitätsforscher an Lieferketten?

Wir schätzen, dass weniger als 1 Prozent aller Lieferbeziehungen jemals beobachtet worden sind. Im Prinzip ist wenig bekannt, wie Lieferketten global ausschauen. Wir haben verlässliche Datenquellen identifiziert – der erste Schritt, um überhaupt Fragen zur Resilienz, Nachhaltigkeit oder Funktionstüchtigkeit beantworten zu können. In Europa gibt es rund 30 Millionen Unternehmen. Aus Studien wissen wir, dass jedes im Schnitt 30 bis 50 Zulieferer hat, große eher tausende. Die meisten Unternehmen kennen natürlich ihre direkten Zulieferer. Die Zulieferer der Zulieferer kennen laut Umfragen nur 10 bis 20 Prozent der Unternehmen. Und nur 6 Prozent der Unternehmen sagen, dass sie ihre ganze Lieferkette kennen, also auch die Zulieferer der Zulieferer der Zulieferer usw., bis hin zu den Rohstoffen. Wir haben als interdisziplinäres, anwendungsorientiertes Forschungsinstitut also viel zu tun.

Wieviel Einfluss haben anteilig die Weltpolitik, nationale bzw. EU-Gesetzgebung und konzerneigene Richtlinien auf Lieferketten?

Mit den multiplen Krisen sind Probleme offensichtlich geworden, auf die die Politik reagiert hat. Es wurde ein gesetzlicher Rahmen geschaffen, um gegenzusteuern mit Pflichten zur Lieferkettensorgfalt, Nachhaltigkeitsberichterstattung, Clean Industrial Deal, Critical Raw Materials Act, Chips Act und Batterieverordnung. Bisher haben Unternehmen ihre Supply Chain effizient gestaltet – das geht oft auf Kosten der Redundanz oder von Nachhaltigkeitskriterien, wie etwa Arbeitsstandards. Manche Industrien wollen oder müssen künftig ihre technologische Basis ändern. Solche Transformationsprozesse dauern Jahre bis Jahrzehnte. Wir sehen leider, dass die EU-Regelungen in sich nicht ganz konsistent sind. Der Vorwurf der Überregulierung wird laut. Wir werden erst in den nächsten Jahren sehen, wie sich das alles niederschlägt.

Sie versuchen, Informationen aus verschiedenen Datenquellen zu sammeln und auch mit KI im großen Maßstab auszuwerten. Was bekommen wir so in den Blick?

Das Thema Nachhaltigkeit ist für verschiedene Stakeholder relevant geworden. Wichtig ist für Policymaker zum Beispiel die Versorgungssicherheit, weil wir in Europa Abhängigkeiten bei Rohstoffen haben, aber auch bei kritischen und strategischen Produkten: Elektroautos, Batterien, Chips, und da reden wir noch gar nicht von den digitalen Abhängigkeiten. Große Unternehmen haben Expertise und Kompetenz im Supply Chain Management, aber sie müssen belegen, wo ihre Produkte herkommen und wie sie produziert wurden.

Haben Sie den Eindruck, dass die Lieferkette für Konsumentinnen und Konsumenten ein Thema ist? Einen Einblick zu bekommen, um Marken oder Unternehmen auszuwählen?

Aktuell ist sicher der Preis das beste Kaufargument. Wenn man Nachhaltigkeit in den Produkten haben will, muss man die auch bezahlen. Ich bin ein bisschen skeptisch, dass das Thema in der Breite der Gesellschaft angekommen ist. Temu und Shein zeigen aktuell das Gegenmodell.

Vielleicht wird es für Konsumentinnen und Konsumenten durchschaubarer, wenn es noch mehr Medienberichte zum Beispiel über Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten gibt?

Angesichts der engen Verflechtungen müssen wir davon ausgehen, dass in jeder Lieferkette problematische Zulieferer stecken. Wenige schwarze Schafe reichen aus, um viele Unternehmen indirekt ins Risiko zu bringen. Wir müssen also unser Mindset ändern und es Unternehmen zugutehalten, wenn sie zum Beispiel Menschenrechtsverletzungen aufspüren, das Thema angehen und daran arbeiten. Wenn man sie dafür geißelt, ist das ein Anreiz, es unter den Teppich zu kehren.

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