Hand hält Recyclingmaterial von Carbon Cleanup © Carbon Cleanup
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Zweites Leben für Verbundwerkstoffe

Ein Start-up positioniert sich im künftigen Markt für recycelte Kohlefasern. Komponenten von Siemens haben die Umsetzung des...

Nachhaltigkeit

08.01.2025

Lesezeit 8 Min

Christian Lettner

Die Aktivitäten des Linzer Startups Carbon Cleanup rücken einen wichtigen Nachhaltigkeits- und Umweltaspekt ins Blickfeld: Wie umgehen mit der großen Menge an Kohlefasermaterialien in Produkten, die an ihr Lebensende kommen oder die als Abfall in der Produktion entstehen? Doch was sind überhaupt Kohlefasern und wo kommen sie zum Einsatz? Kohlenstofffasern basieren auf Erdölprodukten und werden durch den Einsatz von Chemikalien und hohen Wärmeenergieeinsatz hergestellt. Sie sind sehr leicht und verhelfen Kunststoffen zu einer verbesserten Festigkeit. Kohle(nstoff)faserverstärkte Kunststoffe sind sogenannte Verbund- oder Kompositwerkstoffe, die in vielen anspruchsvollen technischen Anwendungen in großem Stil eingesetzt werden: vor allem dort, wo Festigkeit kombiniert mit einem geringen Gewicht von großer Bedeutung ist. Das sind etwa die Bereiche Luft- und Raumfahrt sowie Automotive.

Daten aus dem EU-Forschungsprojekt ReCreate, in dem Carbon Cleanup mitarbeitet, zeigen, welche großen Mengen an Composite-Abfällen bis 2040 alleine in Europa zu erwarten sind. Für den Be- reich Rotorblätter von Windenergieanlagen sind es insgesamt über 200.000 Tonnen (jeweils inkl. Abfall, der bei der Produktion entsteht), im Segment Segel-, Motor- und Elektroboote sind es über 400.000 Tonnen und bei Flugzeugen fast 30.000 Tonnen. In dem Projektbericht ohne Müllmengen-Vorschau sind außerdem erwähnt die Bereiche Automotive, Bau und Sportgeräte.

„Wir haben es hier mit einem First-World-Problem zu tun, bei dem intelligente Lösungen für die Wiederverwertbarkeit gefragt sind. Ich halte das Deponieren von Werkstoffen, aus denen man noch hochwertige Produkte machen kann, für nicht gescheit. Außerdem ist das Deponieren solcher Materialien in Österreich und anderen Ländern sowieso schon verboten“, sagt Carbon-Cleanup-Mitbegründer und -CEO Jörg Radanitsch. Und er ergänzt: „Generell bin ich ein starker Verfechter davon, dass wir alle Materialien, die wir bereits einmal produziert oder in Umlauf gebracht haben auf dieser Erde, wieder konvertieren und wiederverwenden.“

Mobile Recyclinggeräte

Dafür hat das Cleantech-Start-up seit 2020 einen Lösungsweg entwickelt. Carbon Cleanup setzt auf mobile Recyclinggeräte für Verbundwerkstoffe in Containergröße, die direkt beim Kunden aufgestellt werden können. „Es gab bereits einige mehr oder weniger erfolgreiche Versuche mit Recyclinggroßanlagen, unsere Nische sind mobile, dezentrale und vernetzte Mikrofabriken“, berichtet der CEO. Dem Prototyp Carbon Cleanup Unit One folgte bis Mitte 2024 das erste seriengefertigte Recyclingsystem Carbon Cleanup Unit #2 mit einer Jahresleistung von 300 Tonnen. Das System durchlief und erfüllt strenge Zertifizierungsprozesse einschließlich der Einhaltung von TÜV- und CE-Produktsicherheitsstandards sowie nationaler Abfallwirtschaftsvorschriften. Bis Ende 2024 will das Start-up zwei weitere Serienanlagen herstellen; bis 2030 werden 100 Units anvisiert. „In solchen Fällen, egal, ob es viele Mikrofabriken oder herkömmliche Fabriken in einem Konzernverbund sind, wird es unerlässlich sein, diese Einheiten mittels Edge-Technologie intelligent zu vernetzen und zu betreiben“, meint der Leiter der Siemens-Niederlassung für Oberösterreich Günther Schallmeiner.

Als Alternative zur Deponie bietet Carbon Cleanup Kunden das Recycling- Service an. Dabei bezahlen Unternehmen wie etwa der oberösterreichische Luftfahrtzulieferer FACC oder der deutsche Automobilzulieferer SGL Carbon für die Abnahme von Composite-Abfällen wie für eine sonstige Entsorgung. Eine andere Art von Kunden sind jene Unternehmen, die Rezyklatprodukte des Start-ups in ihren Produkten verwenden, zum Beispiel KTM. „Mit KTM arbeiten wir an dem kleinstmöglichen Closed Loop. Aus den Abfallströmen verschiedener Produktionen machen wir Recyclingmaterial, das wiederum in Produkten von KTM wie einer Motorrad-Sitzbank verwendet wird“, so Radanitsch.

Das Ergebnis des Recyclingprozesses in den Units von Carbon Cleanup sind homogene Fiber Blends oder Faser-Füllstoffe. Diese Recyclingfasern finden in drei Produktgruppen Verwendung: Erstens als Material für den 3D-Druck – für private Anwendungen genauso wie für sehr große 3D-gedruckte Formen etwa für Flugzeugflügel. Zweitens für Spritzgussverfahren zur Herstellung technischer Kunststoffbauteile wie Platten für Skibindungen. Und drittens für sogenannte Wirrfaser- oder Forged-Carbon-Bauteile – zum Beispiel bestehen bei bestimmten Audi-Modellen Querträger im Kühlerbereich aus diesem Material.

© Carbon Cleanup

Das Team von Carbon Cleanup rund um Mitbegründer und CEO Jörg Radanitsch (3. v.r.) sowie CTO Jakob Schlosser (4. v.r.).

Der Ursprung des Unternehmens Carbon Cleanup liegt eigentlich in der Stahlerzeugung. „Während meiner Zeit als Berater haben wir gemeinsam mit Stahlwerken Versuche gemacht, um Kohlenstoff als Koksersatz in den Stahl zu bringen. Dieses Vorhaben läuft immer noch. Erst später kam der Aspekt mit dem Kunststoff dazu und dann haben wir gemerkt, da kann man noch viel mehr daraus machen. Nachdem ich gesehen habe, dass es für Kompositmaterial keine Aufbereitungstechnologie gibt, die breit verfügbar ist und die sicherheitstechnischen Anforderungen abdeckt, habe ich ein Verfahren entwickelt, das auch patentiert wurde“, erzählt Jörg Radanitsch.

Patentierte Aufbereitungsanlagen

Das Patent wurde erteilt für die einzige mobile, in sich abgeschlossene und staubgeschützte Kompositmaterialaufbereitungsanlage, die ihre Maschinenparameter automatisch nachsteuert. Das Verfahren, das in den Units abläuft, ist ein trockenes, mechanisches Verfahren mit geringstmöglichem Energieaufwand. Die patentierte Betriebsführung der Anlage zeichnet sich durch eine digitale Überwachung und Nachjustierung aus. „Die Siemens-Komponenten, die wir in den Units einsetzen, sind der Enabler, um das Patent umsetzen zu können“, sagt Radanitsch. In jeder Carbon-Cleanup-Unit kommt ein Siemens-Antriebspaket zum Einsatz. „Herzstück ist die SIMATIC-Steuerung, dazu kommen noch Frequenzumrichter, Panel und Switches als Netzwerkkomponenten für die Datenweitergabe“, so Klaus Baumann, Leiter Industrievertrieb für die Region Oberösterreich bei Siemens Österreich.

© Carbon Cleanup

Die Siemens-Komponenten in den Carbon Cleanup Units sorgen für die Umsetzung des patentierten Aufbereitungsverfahrens.

Eine Besonderheit des Carbon-Cleanup-Konzepts ist, dass das Recycling vom Endergebnis aus zurückgedacht wird. „Schon zu dem Zeitpunkt, wenn das Kompositbauteil in Umlauf gebracht wird, entwickeln wir das Recycling für dieses Material. Was kostet die Aufbereitung? Was ist das für ein Aufwand? Was ist das gewonnene Rezyklat wert?“, so Radanitsch. Für diese Bestimmung des Wertes der eigenen Recyclingprodukte wurde ein KI-gestütztes System zur visuellen Erkennung der Rohstoffe, die der Anlage zugeführt werden, entwickelt. „Wir sammeln mit unseren Anlagen durch Kundenaufträge oder in Forschungsprojekten ständig Prozessdaten und verfügen mittlerweile über einen strategischen Datensatz, der uns in die Lage bringt, dass wir sagen können, aus der gesamten Menge an Verschnitt und Ausschussbauteilen brauchen wir genau diese und jene Teile, um ein bestimmtes Recyclingmaterial mit den geforderten Eigenschaften am Ende des Prozesses herauszubekommen und einen definierten Marktpreis zu erzielen“, berichtet Jakob Schlosser, CTO bei Carbon Cleanup.

Zur zukünftigen Entwicklung äußert sich CEO Radanitsch folgendermaßen: „Mit unserem Verfahren stellen wir rezyklierte Werkstoffe her, die eine neue Werkstoffgruppe bilden. Wir transformieren einen Abfall, der in Zukunft immer öfter nicht mehr deponiert werden darf, zu einem hochwertigen Material.“ Zu den Marktaussichten meint er: „Wir befinden uns momentan in einer Frühphase, wie zu Beginn des Altpapierrecyclings. Der Markt für Recyclingfasern muss sich erst entwickeln. Wenn er anspringt, dann wird er sehr groß, weil das Rezyklat sehr günstig ist im Vergleich zu neuem Material und den CO2-Footprint erheblich verringert. Ein Markttreiber wird auch sein, dass künftig im Automotivebereich Recyclingmaterial zu einem gewissen Anteil vorgeschrieben wird. Auch in der Luftfahrt ist diese Werkstoffgruppe noch sehr neu und wird erst in Zukunft eine größere Rolle spielen. Ich rechne damit, dass wir in frühestens drei Jahren einen signifikanten Volumenstrom sehen werden, was nicht nur unser Geschäftsmodell beleben wird, sondern auch einen wichtigen Beitrag zur Nachhaltigkeit darstellt.“

Über den Autor

Christian Lettner
Chefredakteur hi!tech