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Aus Plastik Strom erzeugen

Mittels eines einzigartigen Verfahrens recycelt ein slowakisches Unternehmen Kunststoffe durch einen chemisch-thermischen Prozess. Prozessgase können...

Nachhaltigkeit

13.07.2023

Lesezeit 8 Min

Siemens

Zusätzlich zum mechanischen Recycling kann Plastik auch mittels chemischer Prozesse entsorgt werden; das geschieht durch eine Änderung der chemischen Struktur der Plastikabfälle und führt zur Bildung von Kohlenwasserstoffreaktionen und neuen Rohstoffen. Die Wiederherstellung von Kunststoffen mit chemisch-thermischen Prozessen ist zum Fokus des slowakischen Unternehmers Vladimír Daniška geworden. Gemeinsam mit seinen Partnern bei Eurex Energy forscht und entwickelt er seit Jahren im Bereich der Abfallbehandlung.

Expert:innen für Verfahrenstechnik und Maschinenbau haben gemeinsam mit Industrieautomatisierungsspezialist:innen von Siemens über Monate hinweg an der Erforschung, Entwicklung und Feinjustierung einer Technologie für das chemische Recycling von Kunststoffabfällen mithilfe eines thermischen Prozesses gearbeitet; eine Technologie, die so umweltfreundlich, automatisiert und effizient wie nur möglich sein sollte.

Das Ergebnis dieser Bemühungen ist eine kompakte Förderlinie, die auf einem einzigartigen Modell mit drei Prozessschritten aufbaut. Zuerst wird der eingehende Abfall entsprechend behandelt, Wasser und andere Abfallstoffe werden abgetrennt. Beim Rohstoff kann es sich hierbei um jede Art von Kunststoff auf Basis von PE und PP handeln, in beliebigen Proportionen, selbst mit leichten Verunreinigungen. Die Kunststoffe können dabei Kommunal- oder Industrieabfälle sein oder auch von Abfalldeponien und anderen Quellen stammen. Die eingehenden Kunststoffe bilden in der Folge eine Schmelzmasse, die bei 430 °C im Zuge der zweiten Phase im Reaktor zu einem Prozessgas verdampft. Bei der anschließenden Kondensierung werden zwei flüssige und eine gasförmige Fraktion aufgetrennt.

Das resultierende Produkt lässt sich als Sekundärtreibstoff klassifizieren, der fossile Kraftstoffe ersetzen kann, beispielsweise für elektrische Generatoren. Nach der Beigabe von Adsorptionsmitteln sowie zusätzlicher Reinigung und Filtrierung können die ausgehenden Produkte auch für die Herstellung von Kunststoffen verwendet werden. Und ein Teil der nicht kondensierbaren Gase findet Anwendung als gasförmiger Sekundärkraftstoff für Prozesswärme der Recyclingreaktorlinie.

Die gesamte Recyclinglinie wird nicht nur von Siemens-Produkten gesteuert, auch andere Komponenten des Unternehmens kommen zum Einsatz (Foto: Eurex Energy).

Energiesystem mit kompakter Größe

Das Eurex-Energiesystem weist gegenüber vergleichbaren Lösungen zahlreiche Unterschiede sowie Vorteile auf. Erstens die kompakte Größe: Das gesamte System nimmt nur eine Fläche von 150 Quadratmetern ein und hat eine Höhe von 6 Metern. Damit ist sie signifikant kleiner als Lösungen des Mitbewerbs. Eine minimale Raumanforderung bedeutet in erster Linie, dass die Eurex-Linie einer breiteren Kundenschicht zugänglich ist.

Der zweite Vorteil liegt in der Möglichkeit, nicht ausschließlich die Rückstände aus den unzersetzten, schweren Kohlenwasserstoffen und Festabfällen zu trennen, die in den eingehenden Abfällen enthalten sind (Stein, Sand, Glas oder Ton). Der Prozess entfernt zudem die meisten wasserlöslichen Abfälle und solche, die entweder zerfallen oder ihren Aggregatzustand wechseln.

„Der Output, der in den Reaktor kommt, ist kein behandelter Mischkunststoff. Es handelt sich also nicht um ein Rezyklat, wie im konventionellen Recycling, sondern um eine Schmelze. Generell betrachtet ist das ein thermisch behandeltes Nebenprodukt, von dem Wasser und die meisten Problemstoffe bereits abgetrennt worden sind. Diese treten demnach nicht in den Prozess ein und führen somit auch nicht zu einer Kontamination der Endprodukte“, so Eurex-Energy-CEO Daniška.

Der dritte große Vorteil des einzigartigen Eurex-Energiesystems liegt in seiner Energieeffizienz. Die thermische Behandlung gewöhnlicher Inputs, etwa gemahlener oder geschredderter Kunststoffe, fällt in der Regel energieintensiv aus, da es sich um schwache Wärmeleiter handelt. „In unserer Lösung geschieht die erste Erwärmung des Polymers auf mehr als 200 °C im Extruder und nicht im Reaktor. Das ist energieeffizienter, da die Energie primär durch Reibung und nicht durch externe Hitzeeinwirkung zugeführt wird“, so Daniška weiter. Die Verwendung von gasbefeuerten Infrarotheizgeräten zur Erwärmung des Reaktors trägt ebenfalls zur Energieeffizienz bei, spart Gas ein und minimiert die Emission von Luftschadstoffen.

Der vierte Unterschied und Vorteil der technischen Lösung von Eurex Energy basiert auf dem kontinuierlichen Betrieb der Linie. Die unverarbeiteten feststofflichen Rückstände werden während des Prozesses entnommen, d.h. es kommt zu keiner Unterbrechung bzw. Verzögerung, wie es in anderen gängigen Pyrolyseanlagen der Fall ist. Dort gibt es nicht nur höhere Energieanforderungen und somit Betriebskosten, sondern auch eine umfangreiche Verschmutzung der Endprodukte, wodurch sich eine Wieder- bzw. Weiterverwendung schwierig gestaltet.

Starke Partnerschaft

Die Partner von Eurex Energy, die Chemosvit Group und Siemens, spielten eine Schlüsselrolle bei der Erforschung und Entwicklung der Technologie für das kontinuierliche chemische Recycling von Kunststoffabfällen mittels thermischer Prozesse. Insbesondere ist hier Chemosvit zu nennen. Das Unternehmen ist auf die Herstellung von Verpackungen und anderen Kunststoffprodukten spezialisiert, produziert eine große Menge an Abfällen und verbraucht viel Energie. Das Unternehmen war demnach der ideale Partner für den Einsatz der ersten Pilotlinie. Gleichzeitig gehört das Engineering-Unternehmen Chemosvit Strojchem zur Gruppe. Es wird künftig weltweit für die Fertigung von chemischen Recyclinglinien für andere Kunden verantwortlich sein.

Der zweite Schlüsselpartner für Eurex Energy ist Siemens. Das Unternehmen liefert die Steuerungen für die Linie und stellt somit deren Autonomie sicher. „Bei der Umsetzung von Automatisierungs- und Digitalisierungslösungen für diese Art von Technologie sind moderne Steuerungen unabdingbar. Diese sind für die laufende Steuerung der chemischen Prozesse vonnöten. Es freut uns, dass die Wahl auf Siemens SIMATIC PCS 7 als zentrales Prozessleitsystem der Linie fiel“, sagt Marián Filka von Siemens Digital Industries in der Slowakei. „Ein hoher Automatisierungsgrad zahlt sich nicht nur im Sinne der Kostenersparnis für künftige Kunden aus, sondern führt auch zur Beibehaltung einer konstant gleichen Qualität beim Output. Sämtliche Prozessparameter, etwa Druck, Temperatur oder Füllstand, werden konstant auf einem optimalen Level behalten, und zwar durch die effiziente Nutzung von Daten, mit denen Arbeitsprozesse standardisiert und optimiert werden können“, so Filka weiter.

Die komplett einsatzbereite und von Eurex Energy am Standort von Chemosvit dient mittlerweile als Lösungsshowcase für potenzielle Kunden. Gleichzeitig hilft sie dem Unternehmen bei der Wiederverwertung von Abfallmaterial. Chemosvit spart damit sowohl bei der Abfallbehandlung als auch bei den Energiekosten deutlich, da der Output, also Produkte bzw. Zwischenprodukte, als Treibstoff für die Stromerzeugung genutzt werden kann. Dank dieser Einsparungen wird mit einem Return on Investment in zehn Jahren gerechnet.

Darüber hinaus eröffnen sich interessante Geschäftsmöglichkeiten für das Unternehmen Chemosvit Strojchem, das als Partner bei der Fertigung der Eurex Energy-Linien fungiert. „Wir können jährlich dutzende dieser permanent betriebenen Plastikrecyclinglinien für Eurex-Energy-Kunden auf der ganzen Welt produzieren“, so Martin Ľach, Mitglied der Geschäftsführung der Chemosvit Group.

Dieses Angebot zielt nicht ausschließlich auf Industrieunternehmen ab, sondern ist auch für Klein- und Großstädte sowie Gemeinden relevant. Die slowakischen Städte Svit und Spišská Nová Ves planen etwa die probeweise Nutzung der Recyclinglinie von Chemosvit für die Wiederverwertung von Plastikabfällen.

„Abfälle 250 Kilometer oder weiter für die Abfallbehandlung zu transportieren ist nicht nur unökologisch, sondern auch unprofitabel. Dank unserer Linie können Gemeinden und Städte ihren Carbon Footprint reduzieren und zudem ihre eigene Energie erzeugen, die anschließend für die öffentliche Beleuchtung oder andere Zwecke eingesetzt werden kann“, erklärt Daniška. Die Technologie von Eurex leistet einen großen Beitrag zur Nachhaltigkeit und spielt auch eine Rolle, was den Umgang mit Plastikabfällen betrifft. „Chemisches Recycling in ganz Europa wird dazu beitragen, dass weniger Kunststoffe verbrannt werden oder auf Deponien landen“, macht Daniška einen Blick in die Zukunft.

„Chemisches Recycling in ganz Europa wird dazu beitragen, dass weniger Kunststoffe verbrannt werden oder auf Deponien landen.“

Vladimir Daniška, CEO Eurex Energy

Foto: Eurex Energy