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Die Zukunft der Produktion: Die Einbahnstraße wird zu einem Kreisverkehr

World Economic Forum: Podiumsdiskussion "The return of manufacturing"

Nachhaltigkeit

27.01.2023

Lesezeit 5 Min

Siemens

Wer sich für internationale Wirtschaft, Wirtschaftspolitik und Zukunftstrends interessiert, hat die Berichte über das World Economic Forum – dieses Jahr unter dem Titel „Cooperation in a Fragmented World“ – nicht verpasst. Ökonom:innen, Politiker:innen, Personen aus den Bereichen Wirtschaft, Umwelt und Medien, kamen im Schweizer Davos zusammen, um ihre Ansichten untereinander und mit der Öffentlichkeit auszutauschen. Einer dieser Anlässe war die Podiumsdiskussion am 17. Januar mit dem Titel „The return of manufacturing“, bei der Politiker und Wirtschaftvertretende wie Siemens AG CEO Roland Busch über den Paradigmenwechsel sprachen, der sich heute in der Produktion vollzieht.

Es ist kein Zufall, dass wir von einem Paradigmenwechsel sprechen, denn eine Vielzahl von globalen Bedingungen haben sich gleichzeitig verändert. Es ist noch gar nicht so lange her, da ging es den Unternehmen in der Produktion in erster Linie darum, die Arbeitskosten zu optimieren: Sie stellten ihre Produkte aus Rohstoffen her, die aus der ganzen Welt an ihren Standort geliefert wurden, und zwar dort, wo sie den Arbeitnehmenden am wenigsten zahlen mussten. Die Hersteller machten sich wenige oder keine Gedanken über die Ressourcenknappheit, kümmerten sich nicht um ihren ökologischen Fußabdruck, verwarfen die Idee des Recyclings weitgehend und hielten geopolitische Spannungen erfolgreich aus ihren Lieferketten heraus. Kurz gesagt, die Produktion war ein einseitiger Prozess, ohne dass ein breiter gesellschaftlicher Konsens hinter den viel gepriesenen Forderungen der heutigen Kreislaufwirtschaft stand.
 

Diese „Weltordnung“ hat sich grundlegend verändert. Die COVID-Epidemie oder das im Suezkanal steckengebliebene Frachtschiff haben gezeigt, dass unsere Wirtschaft viel anfälliger ist, als wir dachten. Der Klimaschutz ist in den Vordergrund gerückt, niedrige Kohlendioxidemissionen, Transparenz und andere ESG-Kriterien sind nun die Grundvoraussetzungen. Und was das Recycling betrifft, so genügt es, auf die Knappheit der Lithium-Ressourcen der Erde hinzuweisen: Die Batterieproduktion kann, wie andere Industriezweige auch, nur auf einer „Kreislaufbasis“ geplant und umgestaltet werden.

ESG© Siemens
ESG (Copyright: Siemens)

Ein Projekt auf der „grünen Wiese“ ist heute ohne die Simulation, Prüfung und Optimierung realer Prozesse an einem digitalen Modell nicht mehr denkbar. Der Digitale Zwilling ist ein echtes „Aushängeschild“ für die derzeitige industrielle Revolution: Er steht für die Notwendigkeit, eine Verbindung zwischen der digitalen Welt und der realen Welt der Fabriken, Roboter und Infrastrukturen herzustellen.

In der Kreislaufwirtschaft wird die Optimierung der Arbeitskosten nachrangig behandelt. Immer wieder hört man von der „Heimkehr“ von Produktionskapazitäten, nachdem sich herausgestellt hat, dass die Auslagerung der Produktion mehr Probleme verursacht als löst. Auch hier hilft die Technologie: Sie trägt nicht nur dazu bei, die Anforderungen des 21. Jahrhunderts zu erfüllen, wie zum Beispiel Widerstandsfähigkeit und Aufbau von Ökosystemen, sondern sie bietet auch eine stabile, vorhersehbare Grundlage und Zukunft für die Arbeitnehmenden. Ein gutes Beispiel dafür ist Singapur, dessen Wirtschaft entgegen der landläufigen Meinung nicht auf Finanzdienstleistungen und Tourismus beruht. Während die beiden letztgenannten Sektoren 15 bzw. 3 Prozent des BIP ausmachen, entfallen auf das verarbeitende Gewerbe – wenig arbeitsintensive, aber hochtechnologische Branchen wie Halbleiter, Nanotechnologie, Pharmazeutika und Luft- und Raumfahrt – 22 Prozent. Das Beispiel Singapur zeigt, dass der Kern von Industrie 4.0 nicht mehr die globale Jagd nach billigen Arbeitskräften ist, sondern die Suche nach und die Bindung von Talenten und die „Wiederverwendung“ vorhandener Kapazitäten, d. h. kontinuierliche Weiterbildung und lebenslanges Lernen. Dies rückt natürlich die Globalisierungs-Protektionismus-Debatte in ein neues Licht.

© Siemens
„Digitale Fabrik“ (Copyright: Siemens)

Der in der Einleitung erwähnte Paradigmenwechsel vollzieht sich direkt vor unseren Augen, doch werden derzeit nur die ersten Schritte unternommen. Von den zahlreichen Fabriken der Welt erfüllen derzeit nur etwa 132 die höchsten Standards des Kreislaufwirtschaftskonzepts, einschließlich der Standards des Weltwirtschaftsforums: Sie sind Mitglieder des Global Lighthouse Network. Wenn sich Meinungsbildner:innen und Entscheidungsträger:innen, darunter Hersteller:innen und Wirtschaftspolitiker:innen, die sich für die Zukunft verantwortlich fühlen und Verantwortung tragen, zusammentun, könnte diese Zahl in den kommenden Jahren exponentiell wachsen. Es bleibt zu hoffen, dass auch viele europäische Fabriken/Hersteller als Ikonen der Digitalisierung und Nachhaltigkeit in diese Liste aufgenommen werden.

Der Artikel wurde von Mark Arato von Siemens Ungarn in ungarischer Sprache erstellt und ins Deutsche übersetzt.