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Freiheit für Roboter!

Kommunikationslösung für hochflexible Produktionsszenarien mit Robotern.

Forschung & Entwicklung

05.05.2021

Lesezeit 10 Min

Christian Lettner

Roboter Turbinenwerk© Siemens
(Copyright: Siemens)

„In UNWIRE haben wir SDR-Sender und -Empfänger mit bestimmten Eigenschaften untersucht und umgesetzt. Das Ziel war, die effektivsten Signalverarbeitungsalgorithmen zu finden. Ich bin stolz, dass wir in einer gemeinsamen Anstrengung ein Echtzeitsystem nicht nur theoretisch abgehandelt, sondern auch realisiert haben“, so Schiefer weiter. „Die entwickelte Lösung ist noch kein fertiges Produkt. Es ist momentan ein ausgereiftes Forschungskonzept, wie man ein Produkt in Zukunft bauen könnte“, ergänzt Kail, der auf Seiten von Siemens Österreich die UNWIRE-Aktivitäten leitete.

Das AIT befasste sich in diesem Projekt vor allem mit den Eigenschaften der Funkwellenausbreitung in industriellen Szenarien. Die dortigen Forscher haben einen sogenannten Kanalemulator entwickelt: Aus den Messdaten der Funkwellenausbreitung wurde ein Kanalmodell für die Echtzeit-Emulation des drahtlosen Kommunikationskanals konzipiert (bei der Emulation werden Systeme nachgeahmt bzw. abgebildet). Mit dem Emulator-Konzept kann die Hard- und Software eines drahtlosen Kommunikationssystems in realen Szenarien untersucht und validiert werden. „Damit haben wir auch die Zielsetzung des Projekts erreicht, eine bessere Vorstellung davon zu haben, wie eine drahtlose Kommunikationsinfrastruktur in Zukunft auf bestimmte Qualitätskriterien getestet werden kann“, erklärt Thomas Zemen, führender Experte für 5G-Systeme, Principal Scientist und Projektleiter am AIT.

Messung der Funkwellenausbreitung

Jetzt zur groben Beschreibung des Weges, der zu dieser international führenden Technologieentwicklung führte:

Den Beginn der Forschung bildete eine Produktionsszenarioanalyse. In einer Fertigungsstätte von Siemens erfolgte dann die Messung der Funkwellenausbreitung. Beim sogenannten Channel Sounding werden gezielt zwischen mobilen Sendern und Empfängern (in der Praxis Roboter, Automatic Guided Vehicles – AGVs, …) Funkübertragungen aktiviert und das Kanalverhalten wird mittels des AIT-Channel-Sounders gemessen. In vielen Tausend solcher Übertragungen wurde jeweils die relative Stärke der direkt oder über Reflexionen eintreffenden Funkwellen bei unterschiedlichen Anordnungen der Antennen erhoben.

Produktionssysteme sind momentan durch fixe Verkabelungen gekennzeichnet. In der Zukunft werden vermehrt kabellose Funkverbindungen zum Einsatz kommen, um hochflexible Produktionsszenarien mit Robotern zu ermöglichen. In einem Forschungsprojekt wurde nun eine solche Kommunikationslösung entwickelt.

In zukünftigen hochflexiblen Produktionsumgebungen sind mobile Kommunikationssysteme notwendig, damit beispielsweise Roboter, die sich teilweise schnell bewegen und hochpräzise agieren müssen, rasch, sicher und verlässlich mit Menschen und anderen Maschinen oder Robotern zusammenarbeiten können.

Gängige Produktionssysteme sind durch die fixe Verkabelung von Steuerungs- und Regelelementen in der Flexibilität deutlich eingeschränkt. Daher bietet sich an, Kabelverbindungen durch kabellose Funkverbindungen zu ersetzen bzw. zu ergänzen. Kabel raus, Funk an: Klingt einfach, ist es aber ganz und gar nicht.

„Um Kabelverbindungen ersetzen zu können, ist es entscheidend, die hohe Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit des Kabels mit Funktechnologien zu gewährleisten. Zentral sind dabei eine sehr niedrige Latenz, also eine sehr hohe Reaktionsgeschwindigkeit, und eine extrem niedrige Fehlerrate“, erklärt Georg Kail von der Forschungseinheit Technology bei Siemens Österreich.

Diesen Herausforderungen stellten sich Siemens Österreich und das AIT Austrian Institute of Technology im Projekt „UNWIRE“, das von der österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) im Programm „Produktion der Zukunft“ unterstützt wurde. Ziel dieses Forschungsprojekts, das Ende 2020 abgeschlossen wurde, ist die Entwicklung von sogenannten Low-Latency-Schlüsseltechnologien, um künftig eine zuverlässige Steuerung von Produktionsmaschinen und Robotern über Funk zu ermöglichen.

Fokus auf Signalverarbeitung

Die Einsatzfähigkeit in großflächigen und komplexen industriellen Produktionsumgebungen stellt eine weitere nicht ohne Weiteres zu erfüllende Anforderung an zukünftige Funkkommunikationssysteme dar. So wie Schallwellen im Fall der Sprache in einem Raum mit viel Echo nicht gut zu verstehen sind, so ist auch die Ausbreitung von elektromagnetischen Wellen bei der funkbasierten Kommunikation erschwert, wenn es Reflexionen gibt.

„Gerade im Industrieumfeld gibt es viele metallische Oberflächen und bewegliche Teile, die Spiegelungen der Funkwellen auslösen und ein großes Hindernis für eine reibungslose Kommunikation darstellen. Dies zu lösen war unter anderem Aufgabe der Signalverarbeitung, an der wir in unserem Projekt arbeiteten“, so Kail.

Werden in industriellen Fertigungsstraßen Kabelverbindungen durch hochzuverlässige drahtlose Kommunikationsverbindungen ausgetauscht oder erweitert, verbessert sich die Rekonfigurierbarkeit von Produktionsstätten signifikant. Das ermöglicht vollkommen neue und effiziente Produktionsprozesse sowie flexible Produktionsverfahren, die eine erhöhte Auslastung ermöglichen und die Umrüstungskosten minimieren.

Die Kommunikation in Produktionssystemen findet in einem Regelzyklus zwischen Sensoren, Aktuatoren (Motoren, Weichen, Schieber etc.) und Verarbeitungseinheiten (Regelungssysteme, Computer usw.) statt. Für schnelle Regelvorgänge werden Zykluszeiten im Mikrosekunden-Bereich benötigt, die die derzeit besten drahtlosen Kommunikationssysteme nicht erreichen.

Die aktuellen Zykluszeiten liegen im zweistelligen Millisekundenbereich. Daher wird eine Reduktion um den Faktor 100 zum Stand der aktuellen Technik benötigt. Im Rahmen von UNWIRE wurde eine Zykluszeit der Regelschleife von 125 Mikrosekunden angestrebt. Das Forschungsprojekt ist im Bereich der Hochfrequenztechnik, im Englischen Radio Frequency Technology, angesiedelt.

„In diesem Projekt und ganz allgemein bei der Entwicklung zukünftiger Funklösungen spielt Software Defined Radio (SDR) die zentrale Rolle. SDR sind Hochfrequenzsender und -empfänger mit einem universell konfigurierbaren analogen Hardwareteil (front end) und einer leistungsfähigen digitalen Recheneinheit. Die Signalverarbeitung wird nur zu einem kleinen Teil analog, ansonsten überwiegend mit Software digital verwirklicht. Das bietet größtmögliche Flexibilität für die Forschung und Entwicklung“, klärt Martin Schiefer, auf. Er ist der Leiter der Hochfrequenzforschungsgruppe innerhalb der Forschungsabteilung von Siemens Österreich. 

„In UNWIRE haben wir SDR-Sender und -Empfänger mit bestimmten Eigenschaften untersucht und umgesetzt. Das Ziel war, die effektivsten Signalverarbeitungsalgorithmen zu finden. Ich bin stolz, dass wir in einer gemeinsamen Anstrengung ein Echtzeitsystem nicht nur theoretisch abgehandelt, sondern auch realisiert haben“, so Schiefer weiter. „Die entwickelte Lösung ist noch kein fertiges Produkt. Es ist momentan ein ausgereiftes Forschungskonzept, wie man ein Produkt in Zukunft bauen könnte“, ergänzt Kail, der auf Seiten von Siemens Österreich die UNWIRE-Aktivitäten leitete.

Das AIT befasste sich in diesem Projekt vor allem mit den Eigenschaften der Funkwellenausbreitung in industriellen Szenarien. Die dortigen Forscher haben einen sogenannten Kanalemulator entwickelt: Aus den Messdaten der Funkwellenausbreitung wurde ein Kanalmodell für die Echtzeit-Emulation des drahtlosen Kommunikationskanals konzipiert (bei der Emulation werden Systeme nachgeahmt bzw. abgebildet). Mit dem Emulator-Konzept kann die Hard- und Software eines drahtlosen Kommunikationssystems in realen Szenarien untersucht und validiert werden. „Damit haben wir auch die Zielsetzung des Projekts erreicht, eine bessere Vorstellung davon zu haben, wie eine drahtlose Kommunikationsinfrastruktur in Zukunft auf bestimmte Qualitätskriterien getestet werden kann“, erklärt Thomas Zemen, führender Experte für 5G-Systeme, Principal Scientist und Projektleiter am AIT.

Messung der Funkwellenausbreitung

Jetzt zur groben Beschreibung des Weges, der zu dieser international führenden Technologieentwicklung führte:

Den Beginn der Forschung bildete eine Produktionsszenarioanalyse. In einer Fertigungsstätte von Siemens erfolgte dann die Messung der Funkwellenausbreitung. Beim sogenannten Channel Sounding werden gezielt zwischen mobilen Sendern und Empfängern (in der Praxis Roboter, Automatic Guided Vehicles – AGVs, …) Funkübertragungen aktiviert und das Kanalverhalten wird mittels des AIT-Channel-Sounders gemessen. In vielen Tausend solcher Übertragungen wurde jeweils die relative Stärke der direkt oder über Reflexionen eintreffenden Funkwellen bei unterschiedlichen Anordnungen der Antennen erhoben.

„Neben den optimierten drahtlosen Signalverarbeitungsalgorithmen in Sendern und Empfängern verfolgten wir Diversitätsmechanismen, um den robusten Betrieb eines drahtlosen Kommunikationssystems in realen industriellen Szenarien erforschen zu können“, erklärt Kail einen Lösungsansatz für die komplexe Problemstellung. „Mit Diversität meinen wir, dass wir Mehrfachantennen verwenden und somit die gleiche Information über unterschiedliche Pfade zwischen Sender und Empfänger übermitteln. Dabei führt der Weg zur maximalen Senkung der Fehlerrate nicht nur über die erhöhte Anzahl der Antennen, sondern auch über deren geschickte Verwendung.“

Im Zuge der Signalverarbeitung wird nämlich die zu übertragende Information nach einem bestimmten zyklisch wechselnden Muster auf die Sendeantennen verteilt und nach den Empfangsantennen wieder zusammengeführt. Die Wahl des zyklischen Musters ist dabei entscheidend für die erreichbare Senkung der Fehlerrate. Klarerweise kommt einem bei hochzuverlässigen drahtlosen Kommunikationsverbindungen 5G in den Sinn.

Den Zusammenhang zwischen den Entwicklungen im UNWIRE-Projekt und dem neuesten Mobilfunkstandard erklärt Forschungsgruppenleiter Schiefer folgendermaßen: „Ultra low latency – darum drehen sich unsere Forschungsaktivitäten – ist nur durch den Einsatz von Multi-Antennen-Systemen und den Einsatz aktuellster Signalverarbeitungsmethoden – wie auch bei 5G genutzt – möglich. Unsere neuesten Entwicklungen gehen über die Leistungsfähigkeit von 5G hinaus und wir erreichen eine sehr niedrige Latenz für hochdynamische Regelvorgänge, die um den Faktor 10 besser als bei 5G ist. Wir haben somit die Funktechnologie der nächsten Generation schon in der Schublade, die das aktuelle Siemens-Lösungsangebot für industrielle Kommunikation zur optimalen Vernetzung von Automatisierungskomponenten in Zukunft schrittweise ergänzen wird.“

Infobox

Funktechnikexpertise bei Siemens Österreich

Die Research Group Radio Frequency Technology Austria beschäftigt ein Dutzend Mitarbeiter und hat jahrzehntelange Erfahrung im Bereich der analogen und digitalen Hard- und Softwareentwicklung für Funksysteme. Von der Systemarchitektur über die Forschung und Entwicklung von Funksystemkomponenten bis hin zur Analyse von Systemen im Feld reicht die Expertise. Die Gruppe verfügt am Standort Wien über ein Hochfrequenzlabor mit einem speziellen reflexionsarmen Messraum, in dem Antennen-, Funksystem- und auch Messungen zur elektromagnetischen Verträglichkeit (EMV) durchgeführt werden können. In den Bereichen Radio Frequency Identification (SIMATIC RFID), funkbasierte Lokalisierung (SIMATIC RTLS) und Funkkommunikation (mobilfunkdurchlässige Zugscheiben), um nur einige Themen aufzuzeigen, lieferte die Forschungsgruppe maßgebliche Beiträge für Siemens-Funktechnikprodukte.

Über den Autor

Christian Lettner
Chefredakteur hi!tech