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Perfekt kombiniert

In Trumau in Niederösterreich befindet sich eine der größten Freiflächen-Photovoltaik(PV)-Anlagen…

Nachhaltigkeit

14.07.2023

Lesezeit 8 Min

Christian Lettner

In Trumau in Niederösterreich befindet sich eine der größten Freiflächen-Photovoltaik(PV)-Anlagen Österreichs mit 17 888 PV-Modulen und einer Gesamtfläche von rund 13 Fußballfeldern. Die Anlage der Wien Energie hat eine maximale Leistung von 9,7 Megawatt (MW) und kann jährlich 10 300 MWh Strom erzeugen – damit können rund 4 500 Haushalte mit Ökostrom versorgt werden. Doch die Gemeinde südlich von Wien hat sogar noch mehr zu bieten: Die erwähnte PV-Großanlage bildet zusammen mit einem acht Windräder umfassenden Windpark, der sich ebenfalls in Trumau befindet, das größte Hybridkraftwerks Österreichs.

Hybridkraftwerke bestehen im Unterschied zu klassischen Großkraftwerken aus mehreren (regenerativen) Erzeugungsanlagen, wo also Strom durch erneuerbare Energien wie Wind oder Sonnenkraft produziert wird. Die verschiedenen kleineren Kraftwerke, die gemeinsam ein großes bilden, speisen den Ökostrom in eine gemeinsame Stromleitung ein. Die Steuerungen der Teilanlagen sind aufeinander abgestimmt und so wird eine optimierte Nutzung der Leitung ermöglicht.

Die herkömmliche zentrale Netzanschlussstruktur sieht einen individuellen Netzanschluss für jedes einzelne Kraftwerk zu einem übergeordneten Netzanschlusspunkt vor. Dies führt bei vielen kleinen verteilten regenerativen Kraftwerken zu erheblichen Infrastrukturkosten. „Durch die Kombination aus verschiedenen regenerativen Energiequellen kann eine vorhandene Netzinfrastruktur optimal genutzt werden. Besonders Solar- und Windenergie können sehr effizient gemeinsam genutzt werden, da Wind und Sonnenspitzen selten gleichzeitig auftreten. So entstehen wirtschaftliche Energiekonzepte für die Herausforderungen des zukünftiges Energiemarkts“, erklärt Andreas Dornhofer, Business Development Manager bei Wien Energie.

Zusätzliche technische Anforderungen

Die Kombination von mehreren Kleinkraftwerken zu einem hybriden Großkraftwerk bringe jedoch zusätzliche technische Anforderungen mit sich. „Denn in solchen Fällen müssen nicht nur das Hybridkraftwerk selbst, sondern auch alle Teilkraftwerke insgesamt den Vorgaben der sogenannten TOR-Richtlinie entsprechen“, so Manfred Haslinger, Vertriebsleiter Systemgeschäft im Infrastrukturbereich bei Siemens. Diese Richtlinie legt die „technischen und organisatorischen Regeln (TOR) für Betreiber und Benutzer von Netzen“, wie die fernwirktechnische Anbindung und ein eigenes Regelungskonzept, fest.

Das bedeutet, dass zukünftig vermehrt auch kleinere Kraftwerke den höchsten technischen Anforderungen und Regelfähigkeiten von Großkraftwerken entsprechen müssen. Photovoltaikkraftwerke müssen ab einer gewissen Größe zum Beispiel selbst reagieren, wenn ein Fehler im Netz auftritt, ohne dass der Netzbetreiber einschreitet. Für die Umsetzung solcher Konzepte unbedingt erforderlich sind sogenannte Hybridregler, die die einzelnen Erzeugungseinheiten steuern und entscheidend zur Erfüllung der Vorgaben der TOR-Vorschriften beitragen. Auch diesbezüglich stellt das Hybridkraftwerk in Trumau eine Besonderheit dar: Nicht nur stellt es wie erwähnt das größte Österreichs dar; es erfolgte zum ersten Mal für ein Hybridkraftwerk dieser Größe die Implementierung aller technischen Anforderungen gemäß den einschlägigen TOR-Vorgaben, in diesem Fall Typ D.

Der Hybridregler in Trumau verfügt über eine Kommunikationsschnittstelle zum Windpark- und zum PV-Regler, welche ihrerseits die Windräder und die PV-Wechselrichter steuern. Weiters gibt es eine Fernwirkschnittstelle zum Netzbetreiber, über die Istwerte, die der Regler regelmäßig misst, und Sollwerte für Leistungsvorgaben ausgetauscht werden können. Als Besonderheit kommt dazu, dass in Trumau zwei Windparks getrennt zu regeln sind, da diese auf unterschiedlichen Leitungen einspeisen. Auch wenn das Verhalten der Windparks grundsätzlich gleich ist, kann es durch lokal unterschiedliche Windverhältnisse zwischen den Windparks durchaus zu unterschiedlichem Regelverhalten kommen, die wiederum vom Hybridregler auszugleichen sind.

Herzstück Hybridregler

Ermöglicht wurden diese hochkomplexen Anforderungen durch den Einsatz des Siemens-Reglers in einem SICAM-A8000- Gerät. Dieses Automatisierungs- und Fernwirkgerät für den Energieversorgungsbereich von Siemens erfüllt die Anforderungen für die Regelung der unterschiedlichen Einspeisetypen optimal und kann diese als ein Gesamtkraftwerk gemäß TOR-Richtlinie darstellen. „Ohne eine solche Regelungsmöglichkeit darf das Hybridkraftwerk gar nicht ans Netz gehen. Denn die maximale Leistung des Hybridkraftwerks, die auftritt, wenn Sonneneinstrahlung und Windstärke beide gleichzeitig maximal sind, würde die erlaubte Netzanschlussleistung – im Fall der geplanten 63 MW der Endausbaustufe – überschreiten. Wenn das eintritt, drosselt der Hybridregler einzelne Anlagenteile nach einer smarten Logik so herunter, dass es nie zu einer Netzüberlast kommt“, stellt der technische Projekteiter Christian Wolloner von Siemens fest. „Eine Lösung, die es auch an vielen anderen Stellen ermöglichen würde, erneuerbare Erzeuger auch mit größerer Maximalleistung ans Netz zu bringen, als das Netz aktuell verkraften kann. Da die maximale Leistung nur an wenigen Zeitpunkten im Jahr auftritt, ist das ökonomisch sinnvoll und ein wichtiger Beitrag zum schnelleren Ausbau erneuerbarer Erzeuger“, ergänzt Haslinger.

Für die unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten, etwa für Microgrids, werden eigene Anwendungen umgesetzt, die auf dem leistungsstarken Prozessormodul der SICAM A8000 laufen. Die Applikation für das Hybridkraftwerk in Trumau wurde gemeinsam mit Wien Energie im Rahmen des Forschungsprojekts Aspern Smart City Research entwickelt – eine maßgeschneiderte Lösung also für den Kundenbedarf nach einer Hybridregelung für die Kombination von größeren regenerativen Erzeugungseinheiten.

Seit Jahresbeginn 2023 speist das Hybridkraftwerk Trumau Elektrizität in das Stromnetz ein. Die über 37 MW Ökostrom versorgen insgesamt 17 400 niederösterreichische Haushalte – das entspricht zehnmal dem Strombedarf aller Haushalte in Trumau. Damit ist allerdings nur die erste Etappe erreicht, denn das Kraftwerk soll im Endausbau eine maximale Leistung von insgesamt 63 MW haben. Was die Netzeinspeisung und die entsprechende Regelung für einen optimalen Betrieb betrifft, gibt es für die zukünftige Erweiterung keinerlei Hindernisse, da die Siemens-Lösung auch mit größeren Dimensionen problemlos zurechtkommt.

Das Team der Entwicklung und Management von Wind- Wasserkraft und Photovoltaik bei Wien Energie
Andreas Dornhofer, Wien Energie (re.), gemeinsam mit Manfred Haslinger (mi.) und Christian Wolloner (li.) von Siemens (Foto: ASCR/Andreas Tischler).

„Bis 2030 werden weitere Windkraftwerke und zahlreiche PV-Anlagen angeschlossen werden“

Interview mit Andreas Dornhofer, Entwicklung und Management Wind-, Wasserkraft und Photovoltaik bei Wien Energie.

Haben sich schon andere Energieversorgungsunternehmen bei Ihnen nach der Lösung in Trumau erkundigt?

Ja, die Wien Energie wurde bereits von anderen EVUs hinsichtlich der Erfahrungen mit Hybridkraftwerken kontaktiert.

Wie sieht der Zeitplan bis zum Ausbau des Kraftwerks auf 63 MW Leistung aus?

Bis 2030 werden weitere Windkraftwerke und zahlreiche PV-Anlagen angeschlossen werden. Technisch könnten bis zu 50 Megawatt Wind und zusätzlich 50 Megawatt PV angeschlossen werden.

Haben Sie Pläne für weitere Hybridkraftwerke?

Ja, ein weiteres befindet sich gerade in Umsetzung in der Steiermark.

Bieten sich andere Kombinationsmöglichkeiten für Hybridkraftwerke außer Wind/PV an?

Ja, es können jegliche andere Erzeugungstechnologien sowie Speicher angeschlossen werden. Konkret bietet sich hier die Möglichkeit von Batteriespeichern oder ein Anschluss einer Wasserstoff-Elektrolyseanlage.

Welche Rolle spielen Hybridkraftwerke bei der Entlastung des Stromnetzes?

Durch Hybridkraftwerke kann ein höherer Ausnutzungsgrad erzielt und die Installation weiterer Infrastruktur reduziert werden. Dadurch sinken die Umweltauswirkungen für den Ausbau von Infrastruktur und es fallen weniger Infrastrukturkosten an.

Eingesteckte Kabel

Regler aus Österreich weltweit begehrt

Die Produktverantwortung für SICAM A8000 inklusive Entwicklung ist seit vielen Jahren bei Siemens Österreich angesiedelt. Das Produkt für Fernwirkanwendungen und Automatisierungslösungen in Energieversorgungsprojekten, das um kundenspezifische Apps ergänzt werden kann, kommt weltweit zum Einsatz. Auch die Kompetenzen und das Know-how des Teams in Wien werden bei Implementierungsprojekten in vielen Ländern der Erde geschätzt. SICAM-A8000-Produkte sind in über 70 Ländern weltweit bei mehr als 2000 Kunden im Einsatz. Die Geräte der SICAM-A8000- Serie eignen sich für elektrische Verteilstationen, Gas-Verteilstationen, Wasserkraftwerke, Pipelines, Bahnstromversorgungen, im Objektschutz oder als Alarmgeber.

(Weiteres Foto: Wien Energie/Johannes Zinner)

Über den Autor

Christian Lettner
Chefredakteur hi!tech