Plug & Produce macht Fabriken smarter
Das System mit vielen Vorteilen für die Industrie wird nun von der Forschung in den Alltag überführt.
Siemens
Die Vision von Siemens ist, dass ein Produkt über sein digitales Abbild die eigene Herstellung steuert und Maschinen ohne großen Programmieraufwand mehr oder minder selbstständig zusammenarbeiten. Ein erster Schritt in diese Richtung ist mit der Entwicklung einer Verpackungsanlage gelungen, die jetzt von der Forschung in den industriellen Alltag überführt worden ist, erklärten Experten von Siemens Österreich.
„Wir haben eine Fertigungszelle geschaffen, die sich quasi wie im Baukastenprinzip einfach in die Produktionslinie integrieren und auch wieder entfernen lässt“, sagte Forschungsgruppenleiter Vladimir Zahorcak, der dieses cyber-physische Konzept im Siemens Elektronikwerk SIMEA in Wien umgesetzt hat, im Gespräch mit APA-Science. Am Prototypen habe man drei Jahre lang gearbeitet, inzwischen wurden die Ergebnisse in die Praxis überführt: „Die Verpackstation verpackt vollautomatisch Produkte mithilfe mehrerer Roboter und Werkzeuge und ist der erste Teil einer Produktionsanlage, die laufend erweitert wird“, so Zahorcak. Weitere Zellen sollen in den nächsten Monaten folgen.
„Die können dann mehr oder weniger per Plug and Produce auf das Umlaufband aufgesteckt, dazu gestellt oder auch wieder rausgenommen werden, um sie beispielsweise zu warten oder zu reparieren. In dieser Zeit ersetzt, wenn gewünscht, ein Mensch die Zelle“, strich Lukas Gerhold, Leiter des SIMATIC Application Center, eine wichtige Anforderung hervor. Der große Vorteil dieses Konzepts sei, dass nur mehr die einzelnen Zellen programmiert werden müssten und nicht die gesamte Anlage.
„Die Zelle weiß selbst, was sie zu tun hat“
„Die Zellen melden sich beim Umlaufband an, integrieren sich und erbringen dann ihre Leistung. Sie müssen kein übergeordnetes Wissen zu den anderen Zellen haben. Das ist ein Paradigmenwechsel“, so Gerhold unter Verweis auf die bisherige zentrale Steuerung. „Der neue, revolutionäre Ansatz, den wir verfolgen, ist ein dezentraler, choreografierter Ansatz. Da bindet sich die Zelle selbst ein und bekommt nur noch die Information: Das Produkt steht jetzt für dich zur Bearbeitung bereit. Von dem Zeitpunkt an weiß die Zelle selbst, was sie zu tun hat“, erläuterte der Experte.
Industrie 4.0 entstehe nicht durch einen großen Knall, viel realistischer sei ein kontinuierlicher Übergang, ergänzte Zahorcak. Nicht sofort alle Zellen austauschen zu müssen, sondern die Automatisierung Schritt für Schritt zu verbessern, sei deshalb eine weitere Vorgabe gewesen. So würden sich einzelne neue Maschinen hinzufügen lassen und die restliche Produktion laufe trotzdem wie bisher. Durch das modulare Konzept könnten außerdem unterschiedliche Stückzahlen oder Varianten von Produkten produziert und somit Kundenwünsche schneller erfüllt werden.
„Bei unserem Ansatz gibt es einen digitalen Zwilling von dem Produkt und auf diese Informationen greift zum Beispiel der Roboter zurück, wenn das Werkstück vorbeikommt. Eine Beschreibung aller benötigten Produktionsschritte ist auch dabei – zum Beispiel das Produkt zuerst elektronisch prüfen, dann verpacken. Damit wissen alle Zellen, welches Produkt gerade am Umlaufband ist und was sie als nächstes tun müssen. So steuern die Produkte die eigene Produktion“, so der Forscher. Werde eine neue Maschine hinzugefügt, brauche man nur diese Maschine programmieren, nicht die ganze Anlage. „Beim alten Ansatz muss jede Änderung beim Produkt in den zentralen Steuerungssystemen nachprogrammiert werden“, erklärte Zahorcak.
Kostenersparnis durch Automatisierung
Das neue Konzept sei nicht nur aus Forschersicht interessant, sondern spare durch die Automatisierung auch Kosten. „Je nach Fertigung entfallen 30 bis 60 Prozent der Engineering-Aufwände bei einer Anlage auf Programmieren, Konfigurieren und Inbetriebnahme. Zum Beispiel muss man einen Roboter anlernen: Gehe zu dieser Position, ergreife das Werkstück, gehe damit dahin und so weiter. Das wird für jedes einzelne Produkt gemacht und diese Aufwände wollten wir drastisch reduzieren“, sagte Zahorcak.
„Je ähnlicher die Module, desto weniger Experten brauche ich zum Programmieren und Konfigurieren – in Zeiten des Fachkräftemangels ein wichtiges Thema“, verwies Gerhold auf einen weiteren Aspekt. Das Ziel sei, künftig mit weniger und langfristig quasi ohne Programmieraufwand – Stichwort „Zero Engineering“ – auszukommen. Letztendlich sollen sich die Maschinen, auch durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz, irgendwann selbst optimieren, so Zahorcak. Enorm viele Daten über Roboter, das Förderband oder die Produkte würden die modularen Zellen jedenfalls jetzt schon liefern.
Unter anderem über diese Entwicklungen können sich Interessierte künftig in einem eigenen „Experience Center“, dem „DigiLab“, informieren. „Hier führen wir das Know-how im Bereich Forschung & Entwicklung, Technologie und Produktion zusammen und arbeiten an Visionen im Hinblick auf die Digitalisierung“, sagte Gerhold. Im Vordergrund stünde der Erfahrungsaustausch und das Aufzeigen von Möglichkeiten – etwa gemeinsame Forschungsprojekte. Das DigiLab sei direkt an das Elektronikwerk SIMEA angebunden, wodurch man mit den Daten aus den Maschinen Analysen machen oder Algorithmen trainieren könne.